Gib mir deine Seele
drauf. Als ich hörte, dass Svetlana ihre Auftritte absagen wollte und du ins Gespräch kamst, hat ein Freund die Aufnahmen heimlich gemacht.«
Pauline fehlten die Worte. Schließlich bedankte sie sich überschwänglich. Es war schon schwierig gewesen, sich die Abläufe in New York in relativ kurzer Zeit zu merken. Hier blieben ihr noch weniger Tage dafür.
»Du wirst es brauchen. Der Regisseur ist ein Arschloch, und er wollte dich auf keinen Fall in der Produktion haben. Null Ahnung warum, kennst du ihn vielleicht?«
»Ehrlich gesagt weiß ich nicht mal, wer Regie führt. Ich fürchte, das war eine spontane Zusage – nachdem ich gehört habe, dass du dabei bist.« Es war nicht einmal gelogen.
»Charmant!« Er prostete ihr zu. »Dieser Donizetti soll Korrepetitor gewesen sein, bis er letzten Winter in eine Schlägerei geriet und sich die Hand gebrochen hat. Zwei Finger sind steif geblieben, und das Gehör hat ganz klar auch Schaden genommen. Also hat er auf Regie umgesattelt. Absolut lächerlich. Der Typ hat überhaupt keine Ahnung von seinem Job, aber seine einflussreiche Familie scheint ihm den Weg geebnet zu haben. Die ganze Arbeit machen die Assistenten. Er brüllt nur rum oder belästigt die Mädels. Wenn du mich fragst, ist die gesamte Inszenierung von Luc Gaultier. Er kommt vom Film, aber das ist in seinem Fall ausnahmsweise kein Nachteil.« Jonathan trank einen Schluck und sah Pauline scharf an. »Was ist? Du wirst ja ganz blass.«
»Ich hatte im letzten Jahr ein Vorsingen. Donizetti …« Sie konnte unmöglich sagen, was wirklich passiert war. »Er wurde zudringlich, und ich bin davongelaufen. Natürlich habe ich den Job dann nicht bekommen.«
»Tatsächlich?« Jonathan drehte das Glas zwischen seinen Fingern. »Etwas Ähnliches hat Svetlana auch erzählt. Zuerst hat sie gedacht, sie käme damit zurecht, wieder mit ihm arbeiten zu müssen. Vielleicht wollte sie beweisen, dass er keine Macht über sie besitzt. Aber er hat dauernd auf ihr herumgehackt und mit anzüglichen Kommentaren nicht gespart, bis sie entnervt das Handtuch geschmissen hat.«
Der Kellner servierte das Essen, und Jonathan schwieg, bis er wieder fort war. »Offiziell sind es natürlich gesundheitliche Gründe«, sagte er leise. »Und das nimmt ihr auch jeder ab. Dieser Nebel hier ist pures Gift. Das ist das letzte Mal, dass ich im November in Venedig singe.« Er breitete seine Serviette aus und griff nach dem Besteck. »Aber jetzt zu dir. Wie war es in der Provence? Ich habe gehört, Constantin besitzt dort ein Weingut.«
»Das stimmt. Es war schön, und vor allem hatten wir besseres Wetter. Immer wenn ich in Venedig bin, scheint es zu regnen.« Sie zeigte zum Fenster, an dem dicke Tropfen herunterglitten.
»Du lieber Himmel, auch das noch. Uns armen Sängern bleibt aber auch nichts erspart!«
Sie lachten gemeinsam. Pauline erzählte von ihrem Ausflug in eine andere musikalische Dimension, und Jonathan hörte gebannt zu.
Wieder im Hotel verabredeten sie sich zum Frühstück. »Von hier aus ist man in gut fünf Minuten am Theater. Das gefällt mir an der Stadt. Man kann fast alles zu Fuß erreichen«, sagte Jonathan.
»Wenn einen die Touristen nicht aufhalten.«
Er nickte. »Das wird mehr und mehr zum Problem. Im Sommer stand ich auf dem Markusplatz und dachte schon, es wäre um mich geschehen, so dicht kam eines der riesigen Kreuzfahrtschiffe heran. Ich schwöre, das war höher als der Campanile.«
»Schrecklich, aber das zumindest haben sie inzwischen verboten.« Sie verabschiedeten sich, und Pauline ging in ihr Zimmer, um dort die DVD anzusehen, die Jonathan ihr überlassen hatte.
Gegen Mitternacht, nach dem ersten Durchgang, fielen ihr beinahe die Augen zu. Pauline ging ins Bett und war sofort wieder hellwach. Hätte sie den Auftrag angenommen, wenn sie gewusst hätte, dass Salvatore Donizetti Regie führen würde? Bestimmt nicht.
Pauline dachte an den widerlichen Senyor und an David. Und nun Salvatore Donizetti. Hatte da womöglich eine höhere Macht die Hand im Spiel? Nach Zufall sah das nicht aus. Sie fröstelte.
Wäre noch alles wie zuvor, wären Constantin und Nicholas garantiert mit ihr nach Venedig gekommen, um sie vor neuen Übergriffen zu bewahren.
Dieser Senyor war spurlos aus Barcelona verschwunden, Davids Fotosammlung mitsamt Atelier verbrannt. Constantin schützte, was ihm gehörte. Hatte er Donizetti Schläger auf den Hals gehetzt?
Vor ihrem Fenster heulte der Wind durch die schmalen Gassen und rüttelte
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