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Gib mir deine Seele

Gib mir deine Seele

Titel: Gib mir deine Seele Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Jeanine Krock
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dich fest: Jonathan sollte in der Zeit ebenfalls dort singen, und sie möchten ihn als Don Carlos verpflichten. Was sagst du?«
    Pauline konnte sich sehr gut vorstellen, wie Marcella, die ihr inzwischen ans Herz gewachsen war, vor ihrem Schreibtisch in einem ihrer maßgeschneiderten Businesskostüme und messerscharfen Stilettos auf und ab stöckelte, während sie telefonierte, den Agenturkollegen irgendwelche Zeichen machte und im Vorbeigehen noch rasch eine E-Mail las.
    »Ich bin überwältigt«, sagte sie matt. »Warte, ich geb dir mal Jonathan.« Sie reichte ihm das Handy und griff nach ihrem Wasserglas.
    Die Metropolitan Oper in New York hatte sie erneut angefragt? Nicht als Ersatz und auch nicht auf Betreiben eines wohlwollenden Dirigenten, sondern so richtig? Wow!
    »Sag zu, mit Paulinchen würde ich sogar Weihnachtslieder singen«, sagte Jonathan lachend und gab ihr das Handy zurück. »Sie hat noch eine Frage.«
    »Hör mal, Schätzchen. Lange kann ich dein Geheimnis nicht mehr bewahren.« Marcella klang nun weniger aufgedreht. »Heute hat deine Tante Marguerite angerufen. Sie macht sich Sorgen, weil du auf ihre Nachrichten nicht reagierst. Ich habe ihr deine neue Nummer gegeben. Das war doch in Ordnung?«
    »Natürlich.« Constantin schien es ernst zu meinen, wenn er bei Marguerite nachfragte.
    »Dann ist ja gut. Mein Oberboss hat sich seltsamerweise auch schon erkundigt, was da los sei … Ich hoffe, deine Überraschung ist es wert.«
    »Tut mir leid, ich wollte nicht …«
    »Lass mal, wir Frauen müssen zusammenhalten. Dein Constantin ist sehr einflussreich, charmant und sexy obendrein, aber in den besten Familien gibt es mal Zoff. Konzentrier dich auf den Job, alles andere wird sich sicher wieder einrenken.«
    »Danke. Du bist die Beste!« Marcella hatte ihren Bluff also durchschaut und war nicht böse.
    »Ich weiß, Schätzchen.« Marcella lachte, und es klang überhaupt nicht überheblich.
    Die Generalprobe war ohne Komplikationen verlaufen. Wie immer, wenn sich Pauline auf die Musik einließ, verlor sie manchmal die Orientierung, doch ihr Unterbewusstsein übernahm dankenswerterweise in diesen Fällen die Führung. Sie lebte, was sie sang und spielte, und zum Schluss fand sie sich in Jonathans Armen wieder, in denen sie als Violetta Valéry eindrucksvoll ihr Leben aushauchte. Die wenigen Zuschauer, die zur Probe zugelassen gewesen waren, hatten begeistert applaudiert.
    Die Anspannung unter allen Beteiligten blieb jedoch weiter immens. Wie würde das Publikum Luc Gaultiers wagemutige Interpretation des Stücks aufnehmen? La Traviata hatte eine große Tradition im Teatro La Fenice. Hier war es uraufgeführt worden, und auch zur Wiedereröffnung des Theaters nach dem schrecklichen Brand hatte man es gespielt. Dies war die erste Neuinszenierung seit Jahren.
    Vor einer Premiere folgten Schauspieler und Sänger häufig einem Ritual. Für Pauline gehörte schon der Vortag dazu, an dem sie einfach tat, was ihr in den Sinn kam. Seit ihrer Ankunft in Venedig war sie nahezu pausenlos mit anderen Menschen zusammen gewesen, nur nachts nicht. Da allerdings hatten sich Dämonen bei ihr eingenistet.
    Deshalb wollte sie den heutigen Tag allein und an der frischen Luft verbringen, wofür sich die Dachterrasse des Hotels bestens eignete. Die war in den Wintermonaten zwar geschlossen, aber sie hatte sich den Schlüssel vom Concierge erbettelt und stand nun, warm angezogen, hier oben und genoss den Blick über das Häusermeer. Ausnahmsweise regnete es einmal nicht, und ab und an schaffte es die Sonne sogar, den Wolkenschleier zu durchbrechen. Jetzt war so ein Moment, und Pauline lehnte sich ans Geländer, um die sanfte Wärme der blassen Strahlen zu genießen. In einem Monat war ihr Geburtstag, der in diesem Jahr auf den Tag der Wintersonnenwende fiel. Danach würden die Nächte kürzer werden. Darauf freute sie sich am meisten.
    Wie erwartet hatte sich die Probenarbeit als anstrengend erwiesen. Trotz der Unterstützung ihrer Kollegen und obwohl Donizetti sie in Ruhe gelassen hatte und der Dirigent sich ausgesprochen umgänglich zeigte. Das Problem war sie selbst. Nicht eine Nacht schlief sie durch. Von Albträumen geplagt, erwachte sie zumeist in Tränen aufgelöst. So sehr vermisste sie Constantin, dass sich ihr Herz anfühlte wie zerborstenes Glas. Die unregelmäßigen Sprünge, die es machte, bewiesen allerdings, wie lebendig und keineswegs unheilbar zerstört es war. Unzuverlässig, ja. Dabei aber stark genug, um bei

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