Gib mir deine Seele
erstickter Stimme, griff in ihr offenes Haar und küsste sie, als hinge sein Leben davon ab.
Jemand räusperte sich.
»Signora, es geht gleich weiter«, sagte die Maskenbildnerin schüchtern.
Pauline ließ sich rasch neuen Lippenstift auflegen und abpudern. Dann schnappte sie ihren Mantel und rannte auf bloßen Füßen zur Bühne, wo die Kollegen ungeduldig auf sie warteten. Der Inspizient gab ein Zeichen, das Orchester begann zu spielen, und der Vorhang hob sich zum letzten Akt.
Es geschah in der Schlussarie. Pauline, als Violetta schwer gezeichnet, hatte den Tod vor Augen. So traurig war diese Szene, in der alle Beteiligten wussten, dass es mit der Kameliendame zu Ende ging, dass sie jedes Mal all ihre Disziplin aufbringen musste, um nicht zu weinen. Elenas kompromisslose Stimme erklang in ihrem Kopf, die gewarnt hatte: »Wer weint, kann nicht singen.«
Das half. Aber es half nicht gegen die Kapriolen, die ihr Herz vollkommen unerwartet schlug. Es raste, setzte aus, Pauline rang nach Luft und kämpfte darum, dieses letzte Aufbäumen des Lebens einer anderen überzeugend darzustellen. Sie sank zu Boden, wie es ihre Rolle verlangte. Hörte noch von Ferne den Applaus aufbranden und wusste auf einmal mit tödlicher Gewissheit, dass dies ihr letzter Auftritt war.
Sterbe ich, bevor Constantin seinen Auftrag erfüllen kann? , fragte sie sich bang. Sterben wollte sie nicht, aber wenn es nun beschlossen war, dann musste sie wenigstens ihn retten.
Constantin! Zum Sprechen fehlte ihr die Kraft.
Nehmt mich , dachte sie. Nehmt meine Seele, aber verschont ihn! Dunkelheit umfing sie und dann war nichts mehr.
Nur endlose Leere.
Sieben Monate später …
Lavendel duftet vortrefflich, wenn er leidet. Das Zirpen der Zika den und das betörende Bouquet der Rosen, die Mas La Roseraie seinen Namen gegeben hatten, hingen untrennbar in der Sommerhitze zwischen Zypressen und Olivenbäumen. Das Land war in diesem Jahr besonders trocken, es hatte seit Wochen nicht mehr geregnet. Jeder Windhauch trug das einzigartige Aroma der Provence von den umliegenden Feldern herüber.
In Constantins Leben hatte es nach den schrecklichen Ereignissen des vergangenen Winters Veränderungen gegeben. Die Wohnung in Barcelona war verkauft, die Appartements, die er weltweit unterhielt, hatte er gekündigt und allen Geschäftspartnern mitgeteilt, er zöge sich für unbestimmte Zeit aufs Land zurück. Nicholas nähme derweil seine Aufgaben wahr.
Nun saß er im Schatten einer Pergola auf seiner Terrasse, die Füße hochgelegt, ein Buch in der Hand. Doch er las nicht, sondern sah der Frau zu, die nicht weit von ihm entfernt ganz in ihre Tätigkeit vertieft war. Neben ihr auf dem Tisch stand ein flacher Korb, aus dem frisch geschnittener Lavendel ragte. Gewissenhaft wählte sie einundzwanzig Zweige aus, und in Gedanken zählte er mit.
Immer ungerade musste die Zahl sein. Anschließend knotete sie das Sträußchen mit einem langen Seidenband zusammen, dessen Enden sie als Nächstes mit geschickten Fingern um die Stängel wob, bis ein Kokon entstanden war, der die duftenden Blüten einschloss und haltbar machte für ihre weitere Verwendung in Wäscheschubladen oder Schränken. Die Touristen, die den Samstagsmarkt in Uzès besuchten, rissen sich um solche Mitbringsel.
Sein Blick glitt über die hellen Arme der Frau, hinauf zu ihrem Nacken, den sie leicht gebeugt hielt, während sie ihr Werk prüfend betrachtete. Die dunklen Locken waren nachlässig hochgesteckt, und von Zeit zu Zeit schob sie sich diese eine vorwitzige, die sich aus der Frisur befreit hatte, mit einer ungeduldigen Geste hinters Ohr. Sie trug das weiße Kleid, das er so sehr an ihr liebte, weil es in aller Unschuld mehr von ihrem verlockenden Körper enthüllte, als es verbarg.
Constantin spürte das Begehren in sich erwachen, wie immer, wenn er sie betrachtete. Er würde sich niemals sattsehen können. So zuverlässig, wie sie seine Liebe bewahrte und erwiderte, erweckte sie auch den Hunger in ihm. Sie war ein Gottesgeschenk, diese wunderbare Frau. Seine Frau.
Drei Monate hatte sie im Koma gelegen. Drei lange Monate, in denen niemand zu sagen wusste, ob sie jemals wieder zu ihm zurückkehren würde. Auch nachdem sie erwachte, war vieles im Ungewissen geblieben.
Artemis, so viel immerhin ließ die Göttin ihn wissen, hatte ihre Wette gewonnen und offenbar Pauline als Preis verlangt. Als Zeichen ihres Besitzanspruchs befand sich nun eine liegende Mondsichel, gekrönt von zwei Sternen,
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