Gib mir deine Seele
bereits in den Kopfbahnhof eingelaufen, als er den Durchgang zum Bahnsteig erreichte. Reisende fluteten an ihm vorbei. Rechts und links begrüßten Menschen einander, Paare küssten sich, Familien fielen sich unter großem Hallo in die Arme. Doch Constantin hatte nur eine im Blick. Pauline. Mit tief in den Hosentaschen vergrabenen Händen stand er da und beobachtete sie.
Sie stand vor einer offenen Zugtür, und jemand half ihr, das offensichtlich schwere Gepäck herauszuheben. Danach stieg der Helfer ebenfalls aus, und sie sagte etwas zu ihm. Worauf dieser grinste, als hätte ihn ein Engel gesegnet.
Ohne zu bemerken, was sie mit dieser Freundlichkeit angerichtet hatte, griff Pauline nach dem Koffer, den Constantin ihr geschenkt hatte und der nun leicht neben ihr über den Bahnsteig rollte.
Er dagegen war unfähig, sich zu bewegen.
Sie sah aus, als wäre sie nicht von dieser Welt. Unglaublich lange Beine, die ihn glauben ließen, eine Fata Morgana habe sich in der Bahnhofshalle manifestiert, deren Spiegelungen eine Realität irgendwo weit weg von hier seltsam verzerrten. Constantin stellte sich vor, wie er die Locken aus dem Tweedgefängnis der Ballonmütze befreite. In üppigen Kaskaden würden sie über ihre Schultern fließen. Mit beiden Händen wollte er hineingreifen, ihren Kopf nach hinten ziehen und sein Gesicht an Paulines Hals vergraben.
Eins nach dem anderen , ermahnte er sich.
Sie wirkte selbstbewusster, gleichzeitig aber auch mädchenhaft in einem Kleid, das in der Zugluft der großen Halle flatterte und für seinen Geschmack zu viel Bein unbedeckt ließ, dessen zarte Farben ihr aber zweifelsohne etwas rührend Unschuldiges gaben. Die obligatorische Lieblingslederjacke fehlte nicht, und als sie näher kam, ließ der Anblick des erwartungsvollen Strahlens ihrer einzigartigen fliederfarbenen Augen seine Pulsfrequenz sprungartig ansteigen.
Aufmerksam wanderte Paulines Blick hin und her, streifte auch ihn, glitt weiter, kehrte zurück … Plötzlich hatte sie ihn erkannt. Ein glückliches Lachen, sie lief immer schneller.
Constantin ging ihr entgegen, auch seine Schritte wurden länger.
»Da bist du ja!« Mit diesen Worten warf sie sich ihm in die Arme.
Was blieb ihm übrig, als sie aufzufangen, ihre Küsse zu erwidern und sie schließlich behutsam auf die Füße zu stellen?
Beide traten einen Schritt zurück. Betrachteten sich. »Du siehst so anders aus«, sagte sie.
Constantin schluckte einen Kommentar über ihr Aussehen hinunter. Seine Fata Morgana hat auch aus der Nähe nichts von ihrem Zauber verloren. Pauline stand ihm beinahe auf Augenhöhe gegenüber. Sie war heute ganz die Londoner Göre. Frech, mutig, manchmal eine Spur ordinär, aber immer voller Leidenschaft. Eigenschaften, die er besonders im Bett an ihr liebte.
Es wird Zeit, dass du dich zusammennimmst. » Bienvenue à Paris . Willkommen«, sagte er hölzern, weil ihm der Hals trocken geworden war, und begleitete sie zum Ausgang, wobei er nun selbst den Koffer schob. Zum Taxi, an dem der Fahrer lehnte, bis er sie bemerkte. Die Bewunderung, mit der Tataouine Pauline musterte, war nicht zu übersehen.
Ein zweiter Blick in Constantins Gesicht genügte jedoch, um den jungen Mann in die Realität zurückzuholen. Er riss ihnen die Tür auf, verstaute das Gepäck und fädelte sich wenig später ausnahmsweise wortlos in den dichten Verkehr ein.
12 Paris – Gefährliche Spiele
Sei vorsichtig, was du dir wünschst , hatte Pauline belustigt gedacht, nachdem sie Constantins Kurznachricht gelesen hatte.
Sie hatte ihm angeboten, mit der Bahn zu fahren. Nun gab er ihr Gelegenheit dazu. Einmal quer durch die Stadt bis zum Bahnhof St. Pancras, mit Gepäck und Umsteigen am Oxford Circus, was kein reines Vergnügen war. Die Fahrt im Eurostar allerdings fand sie himmlisch. Sie hatte einen Doppelsitz ganz für sich allein in der Business Class und bekam sogar das Essen serviert.
Während der Zug kurz vor Paris die Geschwindigkeit drosselte und langsamer durch die Vororte fuhr, verstaute Pauline die flachen Stiefel, die sie bisher getragen hatte, im Koffer und zog ihre Ankle-Boots an. Constantin stand auf schöne Beine, und an ihren gab es nichts zu beanstanden, außer vielleicht einer kleinen Narbe unter dem linken Knie, die sie sich als kleines Mädchen beim Klettern über eine Mauer zugezogen hatte. Doch die sah man kaum. Dank der dicken Plateausohlen waren ihre Schuhe trotz der gut zehn Zentimeter Beinverlängerung recht bequem. Nur umknicken
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