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Gib's mir

Gib's mir

Titel: Gib's mir Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Kristina Lloyd
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gemeinsam phantasiert, und es war perfekt. Finito. Danach sollte nichts kommen, was diese Erinnerung verderben könnte.»
    War das sein Ernst? Wollte er es wirklich darauf ankommen lassen? Ich wollte ihn unbedingt, unbedingt kennenlernen, und ich wusste schon jetzt, dass ich ihn leiden mögen würde. Ich hatte ihm das doch bloß gesagt, um ihn zu necken. Ich hab einfach gespielt, nur ein kleines bisschen, schwer zu verstehen vielleicht. Ich hätte nicht daran gedacht, dass er meine Worte für bare Münze nehmen und den Rückzug antreten könnte. Ich hatte erwartet, dass er flirten und mich überzeugen würde, dass er atemberaubend gut aussähe und ein Kennenlernen absolut wert sei.
    «Vielleicht hast du recht», meinte ich, betend, dass ich damit nicht ein zu großes Risiko einging. «Lass uns das Stück mit einem klaren, hohen Ton beenden. Finito.»
    Er hielt inne. Dann erklärte er: «Ja, das ist wahrscheinlich das Beste. Und wahrscheinlich sollte man es auch nicht allzu lange diskutieren. Das würde nur den schönen Schlussakkord verderben.»
    Schweigen. Innerlich schrie und tobte ich.
    «Nun dann», sagte er und spielte dabei sonnige Lockerheit. Verzweifelt dachte ich darüber nach, wie ich die Situation irgendwie noch retten könnte, wie ich mehr von ihm bekäme, ohne dabei mein Gesicht zu verlieren. Ich wollte nicht allzu interessiert erscheinen, besonders da er so unverschämt cool wirkte. Ich hatte eine Idee und platzte sofort damit raus. «Du solltest mir mal ein Foto von dir schicken.»
    «Ein Foto», wiederholte er. Ich hörte wieder das Lächeln in seiner Stimme.
    «Jaaa», sagte ich schnell und versuchte meinen Eifer wettzumachen. «Ich meine, es ist doch nicht fair, wenn wir es hierbei belassen, nicht fair in meinem Sinne. Du weißt, wie ich aussehe – zumindest nehme ich an, dass es so ist. Ich habe dich bloß einmal quer über die Straße gesehen. Ich kann nicht … für mich bist du der gesichtslose Mann. Das ist nicht fair. Soll ich das Ganze so in Erinnerung behalten – dies, die Phantasien, die Sachen, die du –»
    «Hat sich das für dich so angefühlt?», fragte er, immer noch lächelnd. «In deiner Vorstellung bist du wirklich von einem gesichtslosen Mann von hinten genommen worden?»
    «Ja.»
    «Du hast recht. Das ist nicht fair. Also willst du ein Foto, damit du dir das Ganze nochmal neu vorstellen kannst?»
    «Ich bin lediglich neugierig. Ich würde gern wissen –»
    «Okay, dann werde ich dir eins schicken. Und wenn du mein Aussehen magst, dann können wir uns ja treffen. Abgemacht?»
    «Klar», sagte ich in dem Versuch, forsch zu wirken.
    «Es gibt nur eine Bedingung. Du musst mir auch ein Foto von dir schicken.»
    «Ich hab keins. Kein neueres jedenfalls. Die sind alle –»
    «Hast du denn eine Kamera?»
    «Ja. Nein. Ich meine, ich hab eine, aber die taugt nichts. Der Rückspulmechanismus klemmt. Das würde nichts –»
    «Ich schick dir eine. Eine Kamera, meine ich.»
    «Wie bitte? Sei nicht albern. Wenn du ein Foto willst, kann ich zum Fotoautomaten gehen. Dann schick ich dir gleich vier und –»
    «Nein, ich will nicht solchen Passbild-Quatsch. Ich will ein Foto von dir, das du dir nicht auf den Kamin stellen würdest. Ich werd dir eine Polaroid schicken.»
    «Von dir?»
    «Nein. Ich meinte, dass ich dir eine Polaroid-Kamera schicke. Dann kannst du das Foto machen und es mir schnell schicken. Abgemacht?»
    «Und was … was für ein Foto wirst du mir schicken?»
    «Eins, das ich mir nicht auf den Kamin stellen würde. Abgemacht?»
    Ich zögerte, bevor ich antwortete: «Na gut. Abgemacht. Aber wirklich, du musst mir nicht extra eine Kam–»
    «Tschüs, Beth. Bis bald.»
    «Oh, na gut», stammelte ich, erschrocken von seiner Abruptheit. «Tschüs.»

Kapitel vier 
    Vier Tage später bekam ich meine Kamera. Der Postbote brachte sie – und nur meine Adresse in Ilyas Handschrift geschrieben zu sehen war schon ein prickelndes Gefühl.
    Wenn ich jemanden interessant finde, aus welchem Grund auch immer, und nicht viel über ihn weiß, dann erscheint mir selbst das allerkleinste Schnipselchen Information wichtig. So war das bereits in der Schule. Ich himmelte einen Jungen aus dem Jahrgang über mir an. Ich war Luft für ihn, und wir haben niemals miteinander gesprochen, bis auf ein einziges Mal, wo ich die Gelegenheit beim Schopf ergriff und zu ihm sagte: «He, du – du hast gerade deinen Stift fallen lassen.»
    Aber ich wusste verdammt viel über ihn: Schuhgröße,

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