Gideon Crew 01 - Mission - Spiel auf Zeit
zu verdienen, während sein Sohn jeden Abend darauf wartete, dass er nach Hause kam, manchmal mit der Taschenlampe unter der Bettdecke, damit er nicht schlief, wenn Daddy endlich kam. Aber er war immer eingeschlafen, lag da, die Taschenlampe noch angeschaltet. Gideon zog das Foto eines himmlischen blonden Jungen aus der Brieftasche, vergoss eine Träne darüber und erklärte sich zum einsamsten, traurigsten Milliardär auf Erden.
Er wurde belohnt, denn auch Gerta vergoss eine Träne.
Wieder im Zimmer, fing Gerta an, ihre Sachen mit, wie er feststellte, einem gewissen Widerstreben auszupacken, aber als sie den Reißverschluss ihrer Kulturtasche aufzog, gestand Gideon ihr, dass er noch nie jemanden wie sie kennengelernt habe, dass sie seine Freundin sein solle und er noch ein wenig mehr erzählen wolle. Und dass sie so witzig und interessant sei, dass er sich nicht vorstellen könne, diese Dinge mit ihr zu machen – die Dinge, die ihm dabei halfen, zu vergessen, und wenn nur ein klein wenig –, weil er sie inzwischen viel zu sehr respektiere.
Gideon fragte sie nach ihren interessanteren Erlebnissen, und sie begann, zunächst widerstrebend, aber dann begieriger, ihm von ihrer Arbeit zu berichten. Sie saßen nebeneinander auf dem Bett, und Gerta redete. Nach fünf oder sechs ihrer Geschichten kam sie endlich auf den Vorfall zu sprechen, der ihn interessierte. Es sei, sagte sie, vor ungefähr zwei Wochen passiert. Sie war von einem Mitarbeiter einer australischen Firma für einen Spezialauftrag engagiert worden. Offenbar hatte der Chinese irgendwelche technologischen Neuerungen seines Unternehmens gestohlen – wusste Gideon eigentlich, dass China australische Firmen schon seit geraumer Zeit bestahl? –, und die Firma wollte, dass sie einen der chinesischen Manager in eine kompromittierende Situation manövrierte, damit man die technologische Neuerung zurückbekam. Der Preis: 10 000 Dollar für einen Abend.
»Ich hatte mit irgend so einem chinesischen Gangstertyp gerechnet«, sagte sie, »aber der Mann war klein und nervös. Kaum größer als ein Liliputaner. Es dauerte eine Ewigkeit, bis er damit herausrückte, was er wollte.« Sie lachte. »Aber als er dann losgelegt hat … Mannomann.«
Gideon stimmte in ihr Lachen ein und stand auf, um einen Piccolo Veuve Clicquot aus der Minibar zu holen. Er schenkte zwei Gläser voll.
»Ja, es war ziemlich lustig. Er hat sich benommen wie ein gieriger Teenager.«
»Und was hat er beruflich gemacht?«, fragte Gideon.
»Erst klang alles geheim und hochwichtig, wie er das so erzählte, irgendwas mit Elektrizität. Hat nicht mal erwähnt, dass sein eigentliches Geschäft darin bestand, Australien zu bestehlen.«
»Elektrizität?« Gideon öffnete eine zweite Piccolo-Flasche.
»Na, ich glaube, das hat er gesagt, Elektrizität oder vielleicht Elektronen oder irgendwas in der Art. Hat angedeutet, dass sich dadurch alles ändern und China die Welt übernehmen würde. Am Ende war er ziemlich betrunken und hat reichlich wirres Zeug geredet.«
»Waren die Australier, die Sie engagiert hatten, mit den Informationen zufrieden?«
»Sie waren mehr daran interessiert, alles auf Video festzuhalten. Sie wollten den Mann dazu zwingen, ihnen ihre technologische Neuerung zurückzugeben.«
»Was für eine technologische Neuerung?«
Gerta nahm einen großen Schluck Champagner. »Das hat man mir nicht verraten. Das war geheim.«
»Und das hat sich alles in seinem Zimmer abgespielt?«
»O ja. Ich arbeite nie zu Hause.«
»Haben Sie gesehen, ob er einen Laptop bei sich hatte? Oder eine tragbare Festplatte?«
Sie zögerte und blickte ihn an. »Nein. Warum?«
Gideon merkte, dass er sie zu sehr drängte. »Reine Neugier. Sie sagten, er sei Wissenschaftler. Ich habe mir gedacht, dass sich die gestohlene technologische Neuerung vielleicht in dem Zimmer befand.«
»Kann sein. Mir ist aber nichts aufgefallen. Das Zimmer war sehr aufgeräumt, alles war verstaut.«
Er entschloss sich, es noch einmal zu versuchen. »Hat er irgendetwas von einer Geheimwaffe erwähnt?«
»Einer Geheimwaffe? Nein, er hat nur viel davon gesprochen, dass China die Welt beherrschen werde, die übliche Prahlerei. Ich höre das oft von chinesischen Geschäftsleuten. Die glauben alle, dass China in zehn, zwanzig Jahren den Rest von uns in der Tasche hat.«
»Was hat er sonst noch erzählt?«
»Nicht viel. Als es vorbei war, wurde er plötzlich echt paranoid, hat sich im Zimmer nach Wanzen umgesehen, hatte Angst, dass
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