Gideon Crew 01 - Mission - Spiel auf Zeit
erwarten, dass alles für Sie vorbereitet ist, oder?« Sie sah ihn unerbittlich an.
Ihm war das alles etwas peinlich. Sie hatte natürlich recht. Aber das Teppichmesser brannte ihm ein Loch in die Tasche, die Röntgenaufnahmen in seiner Einkaufstasche ebenso. Und er konnte auch nicht aufhören, an Nodding Crane zu denken und daran, was er im Augenblick tat. Ob er in der Nähe war, ob er das Leichenschauhaus überwachte. Je länger er warten musste, desto mehr Zeit gab er seinem Gegner.
»Wie lange muss ich noch warten?«
Wieder fing sie mit ihren roten Fingernägeln an zu klappern und Papiere herumzuschieben. »Ich sage Ihnen Bescheid, sobald jemand frei ist.«
Er nahm wieder Platz und starrte mürrisch auf den Sinnspruch. Leise Geräusche drangen durch die Edelstahltür, die von den häufigen Rempeleien der Bahren ziemlich ramponiert aussah. Irgendetwas ging hier vor – zweifellos der Mordfall. Mittlerweise war er überzeugt, dass es sich um den Mord in Saint Bart’s handelte. Das wäre eine große Sache: Irgendjemand war in einer der ältesten und ehrwürdigsten Kirchen New Yorks, die dazu noch zu einer der reichsten Gemeinden gehörte, ermordet worden.
»Was befindet sich hinter der Tür dort?«, fragte Gideon.
Die Frau hob erneut den Kopf. »Obduktionssäle, Kühlboxen, Büros.«
Hinter der Tür wurde es lauter, undeutliche Geräusche, die auf Hektik und Aktivitäten hindeuteten. Gideon blickte auf die Wanduhr. Schon fast halb drei.
Die Gegensprechanlage auf dem Schreibtisch der Rezeptionistin quäkte. Sie antwortete mit gedämpfter Stimme, dann blickte sie zu ihm herüber. »Es kommt jemand, um Ihnen behilflich zu sein.«
»Vielen
Dank
.«
Ein Mann in nicht allzu weißer Kleidung kam durch die Tür. Er war schlecht rasiert und hatte kleine Pusteln und Pickel am Hals. Er hob ein Klemmbrett an und las davon ab. »George Crew?«
»Gideon. Gideon Crew.«
Wortlos drehte sich der Mann um, und Gideon ging hinter ihm durch die Tür. »Ich möchte gern einen Augenblick bei ihm sein – allein«, sagte er zum Rücken des Mannes.
Keine Antwort.
Sie gingen über einen langen, hellen, mit Linoleum ausgelegten Flur, der wiederum vor einer Doppeltür endete, die, wie es schien, in den Obduktionssaal führte. Durch das Türfenster erhaschte Gideon einen Blick auf eine Reihe von Edelstahl- und Emailletischen, etliche orangefarbene Behälter für medizinische Abfälle, Stapel mit Tupperware-Dosen. Eine Gruppe stand um einen der Tische, darunter Detectives und Cops. Dort musste das Mordopfer liegen.
»Hier entlang, bitte.«
Gideon drehte sich um und ging hinter dem Mann her durch eine weitere Tür, über einen weiteren Gang, und schließlich in einen langen Raum, der auf beiden Seiten von Metallschubfächern gesäumt war. Ein Firmenlogo identifizierte sie als
So- LOW , Inc.
-Equipment. Die »Kühlboxen«.
Der Gehilfe konsultierte sein Klemmbrett, seine Lippen bewegten sich stumm, und dann, immer noch lautlos murmelnd, blickte er die Reihe der Schubfächer entlang, bis er das richtige gefunden hatte. Er schloss es mit einem Schlüssel an einer Spiralschnur, die er um die Hüfte trug, auf und zog das Schubfach nach vorn. Ein grauer Leichensack kam zum Vorschein, mit geschlossenem Reißverschluss. Der unangenehme Bittermandelgeruch von Formaldehyd stieg Gideon in die Nase, überdeckte aber nicht ansatzweise den Leichengeruch.
»Hm. Sind Sie sicher, dass das Mark Wu ist?« Gideon verspürte eine ihm selbst unerklärliche Nervosität.
»So steht’s hier jedenfalls.« Der Mann verglich sein Klemmbrett mit einer Nummer auf einem Schildchen, das an den Leichensack getackert war.
Gideon spürte den harten Plastikgriff des Teppichmessers in seiner Tasche. Hier im Leichenschauhaus war es zwar kühl, aber der Griff war glitschig, so feucht waren seine Hände. Das hier würde eine Tortur werden. Er schluckte und versuchte, sich gegen das Kommende zu wappnen.
»Ich möchte einen Moment mit ihm allein sein«, sagte Gideon und schloss seine Bitte mit einem raschen, vorgetäuschten Schluchzer ab, der ihm allerdings nicht gut gelang und eher wie ein Schluckauf klang.
Diesmal ein Nicken. Offenbar hatte der Gehilfe auch keine große Lust, länger als nötig hier drinzubleiben. »Fünf Minuten?«
»Hm, wie wär’s mit zehn?« Noch ein Schluchzer, diesmal besser.
Eine gebrummte Zustimmung. »Ich warte in der Halle.«
»Danke.«
Der Mann ging hinaus, die Tür schwang hinter ihm zu. Die Neonleuchten summten leise; die
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