Gier (Ein Paul-Kalkbrenner-Thriller) (German Edition)
Ersatzkraft sorgen zu können«, erklärte Berger. »Also machte Frau Krasniqi die Schicht alleine und war dementsprechend in Verzug. Zum Tatzeitpunkt befand sie sich in den Toilettenräumen gegenüber dem Klassenzimmer.«
»Sie war also Zeugin des Mordes?«, fragte Kalkbrenner.
»Nein«, sagte Berger. »Den Mord hat sie nicht gesehen.«
»Aber sie hat Schüsse gehört?«
»Nein. Auch nicht.«
»Eine Makarov kann man nicht überhören«, wandte Rita ein. »Nicht nach Unterrichtsschluss, wenn man fast allein im Gebäude ist und sich nur einen Raum weiter befindet.«
»Ein Amoklauf mit Schalldämpfer?«, fragte Kalkbrenner.
»Ja«, bestätigte Dr. Wittpfuhl. »Offenbar wollten die beiden Schüler ganz sichergehen: Sie haben dem Lehrer die Waffe mit dem Schalldämpfer an die Stirn gesetzt. Die Stanzmarke in Form der Pistolenmündung war unübersehbar.«
»Das klingt aber nicht nach Mord im Affekt«, gab Kalkbrenner zu bedenken, »sondern nach einer sorgfältig geplanten Tat.«
»Bei der sie sich auf keinen Fall erwischen lassen wollten«, sagte Rita.
»Richtig, aber warum benehmen sich die beiden dann nach der Tat so auffällig? Wenn es stimmt, was der Hausmeister sagt, dann waren die beiden in heller Panik. Merkwürdig.« Kalkbrenner hob seine Tasse zum Mund und nahm einen Schluck. Der Kaffee war inzwischen kalt. »Was hatte Frau Krasniqi sonst noch zu berichten?«
14
Dossantos unterdrückte ein Gähnen. Das offizielle Programm zur Eröffnung der Integrationseinrichtung für Migrantenkinder war eine sterbenslangweilige Zeremonie aus Kindertänzen und endlosen Reden.
Der Bürgermeister widmete seine salbungsvollen Worte den bewegenden Ereignissen der vergangenen Woche. Er begreife den heutigen Tag als einen wichtigen Meilenstein zur Lösung der Probleme, ließ er wissen. Und natürlich bemühte er sich, seine eigenen Leistungen über alle Maßen ins rechte Licht zu rücken. Die Journalisten kritzelten Zitate in ihre Notizblöcke, die Fotografen schossen Bilder.
Endlich durchschnitt der Bürgermeister das Band zur Eingangstür und gab damit den Startschuss für den Sektempfang, zweifelsfrei der interessantere Teil der Veranstaltung. Eine türkische Blaskapelle spielte auf, und im Gebäude servierten dicke russische Mamutschkas Speisen aus verschiedensten Ländern. Außenstehende mussten bei der Betrachtung dieses ausgelassenen Spektakels den Eindruck gewinnen, dass es eigentlich gar nicht so schlimm um den Stadtteil bestellt war.
Bevor Dossantos aber noch weitere Gedanken daran verschwenden konnte, verstellte ihm ein groß gewachsener, dickbäuchiger Mann mit beunruhigend roter Nase den Weg. »Herr Dossantos, schön, dass ich Sie treffe. Gar nicht so einfach, Sie zu erreichen.«
»Herr Feinstubbe! Sie wissen doch, ich bin nicht mehr so oft im Büro.«
»Sagte mir Ihre Sekretärin schon.« Feinstubbe rieb sich die Nase. »Aber es geht Ihnen gut, oder?«
»Selbstverständlich.«
»Wunderbar. Sehr gut.« Er wischte sich die Stirn. »Ich müsste nämlich mal mit Ihnen plaudern.«
Richard Feinstubbe war emsiger Lobbyist im Senat, stellvertretender Präsident des Fußballclubs Union Berlin und saß außerdem im Vorstand des Unternehmensverbandes der Berliner Großgastronomen. Letzteres war sein eigentlicher Broterwerb. Für die heutige Veranstaltung hatte er Alkohol und Softdrinks unentgeltlich zur Verfügung gestellt, was er sich durchaus leisten konnte. Sein profitabelster Auftrag war seit Jahren die Belieferung von Dossantos’ Betrieben mit Getränken. Würde Dossantos eines Tages den Auftrag canceln, wäre Feinstubbe auf einmal pleite.
»Ich habe bei der Brauerei
Hasselbacher
einen guten Freund.«
»Einen guten Freund? Wenn ich mich recht entsinne, ist das Ihr Schwager.«
»Oh, ich hatte Ihnen von ihm erzählt?« Feinstubbe griff verlegen nach zwei Gläsern Sekt und reichte eins Dossantos. »Wollen Sie auch? Bitte schön. Prost. Also, wie auch immer: Mein Schwager ist Vertriebschef bei
Hasselbacher.
Er bereitet die Markteinführung eines neuen Energy-Drinks vor. Sie wissen schon, diese neumodischen Getränke, die süß wie Kaugummi schmecken.«
»
Hasselbacher
hofft, damit aus den roten Zahlen zu kommen?«
Feinstubbe nickte hastig.
»Und Sie wollen mich darum bitten, den Drink in das Sortiment meiner Betriebe aufzunehmen?«
»Das käme mir, also, ich meine, meinem Schwager sehr entgegen.«
»Ich werde sehen, was sich machen lässt, Herr Feinstubbe.«
»Ich komme Ihnen da auch entgegen.«
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