Gier, Kerstin
die Sache abkürzen und mich direkt in seine Arme werfen
sollte. Aber Leslie hatte ja gesagt, ich solle es ihm nicht zu leicht machen.
Also hob ich nur abwartend meine Augenbrauen.
»Ich
wollte dir nicht wehtun, bitte glaub mir das«, sagte er und seine Stimme war
ganz rau vor Ernsthaftigkeit. »Du hast so furchtbar traurig und enttäuscht
ausgesehen gestern Abend.«
»So
schlimm war es gar nicht«, sagte ich leise. Eine verzeihbare Lüge, wie ich
fand. Die vergossenen Tränen und meinen dringenden Wunsch, an Schwindsucht zu
sterben, musste ich ihm ja nicht unter die Nase reiben. »Ich war nur ... es tat
ein bisschen weh...« - okay, das war jetzt die Untertreibung des Jahrhunderts!
- »... denken zu müssen, dass von deiner Seite alles nur gespielt war: die
Küsse, deine Liebeserklärung ...« Ich verstummte verlegen.
Wenn
möglich, sah er nun noch zerknirschter aus. »Ich verspreche dir, dass so etwas
nie wieder vorkommen wird.«
Was genau
meinte er? Ich kam nicht mehr so ganz mit. »Na ja, jetzt, wo ich es weiß, würde
es ja auch nicht mehr funktionieren«, sagte ich ein bisschen energischer. »Mal
unter uns: Der Plan war sowieso schwachsinnig. Verliebte Menschen sind doch
nicht leichter zu beeinflussen als andere - im Gegenteil! Wegen all der
Hormone weiß man nie, was sie als Nächstes tun werden.« Ich war schließlich das
beste Beispiel dafür.
»Aber aus
Liebe tut man Dinge, die man sonst nicht tun würde.« Gideon hob die Hand, als
wolle er mir über die Wange streicheln, doch dann ließ er sie wieder sinken.
»Wenn man liebt, ist der andere plötzlich wichtiger als man selber.« Wenn ich
es nicht besser gewusst hätte, hätte ich denken können, dass er kurz davor war,
in Tränen auszubrechen. »Man bringt Opfer ... - das ist es wohl, was der Graf
damit meint.«
»Und ich
glaube, der Gute hat keine Ahnung, wovon er redet«, sagte ich abfällig. »Wenn
du mich fragst: Liebe ist nicht gerade sein Spezialgebiet und seine Kenntnisse
der weiblichen Psyche sind ... erbärmlich!« Und jetzt
küss mich, ich will wissen, ob Bartstoppeln kratzen.
Ein
Lächeln erhellte Gideons Gesicht. »Vielleicht hast du recht«, sagte er und
atmete tief durch, wie jemand, dem ein dicker Stein vom Herzen gefallen war.
»Ich bin jedenfalls froh, dass wir das geklärt haben. Wir werden aber immer
gute Freunde bleiben, ja?«
Wie bitte?
»Gute
Freunde?«, wiederholte ich und plötzlich fehlte die Spucke in meinem Mund.
»Gute
Freunde, die wissen, dass sie sich vertrauen und aufeinander verlassen
können«, sagte Gideon. »Es ist nämlich wichtig, dass du mir vertraust.«
Es dauerte
noch ein, zwei Sekunden, aber dann dämmerte mir, dass wir beide irgendwo in
diesem Gespräch an unterschiedlichen Stellen abgebogen waren. Was Gideon mir
zu sagen versucht hatte, war nicht: »Bitte verzeih mir, ich liebe dich«,
sondern: »Lass uns gute Freunde bleiben« - und jeder Idiot weiß, dass das zwei
vollkommen verschiedene Dinge sind.
Es
bedeutete, dass er sich nicht in mich verliebt hatte. Es bedeutete, dass Leslie
und ich zu viele romantische Filme geschaut hatten.
Es
bedeutete ...
»... du Mistkerl!«, rief ich. Wut, helle, heiße Wut durchströmte mich, so heftig, dass
meine Stimme ganz heiser wurde. »Wie kann man nur so abgebrüht sein! An einem
Tag küsst du mich und behauptest, du hättest dich in mich verliebt, und am
nächsten Tag sagst du, es tut dir leid, dass du so ein verlogenes Ekel bist,
und möchtest, dass ich dir vertraue?«
Jetzt
kapierte auch Gideon, dass wir aneinander vorbeigeredet hatten. Das Lächeln
verschwand aus seinem Gesicht. »Gwen ...«
»Soll ich
dir mal was sagen? Mir tut es um jede einzelne Träne leid, die ich deinetwegen
geweint habe!« Ich wollte ihn anschreien, aber es misslang kläglich. »Und
bilde dir bloß nicht ein, dass es viele waren!«, konnte ich nur noch krächzen.
»Gwen!«
Gideon versuchte, nach meiner Hand zu greifen. »Oh Gott! Es tut mir so leid.
Ich wollte doch nicht... bitte!«
Bitte, was? Ich
starrte ihn zornig an. Merkte er denn nicht, dass er alles nur noch schlimmer
machte? Und glaubte er, sein Hundeblick würde irgendetwas ändern? Ich wollte
mich umdrehen, aber Gideon hielt mich an den Handgelenken fest.
»Gwen, hör
mir zu. Vor uns liegen sehr gefährliche Zeiten und es ist wichtig, dass wir
zusammenhalten, du und ich! Ich ... ich mag dich wirklich gern und ich will,
dass wir...«
Er würde
es nicht noch mal sagen. Nicht diesen abgedroschenen Satz. Doch er tat
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