Gier, Kerstin
Sekretär.
»Bitte
sehr - hier sind sie. Alle beide«, sagte Lavinia. Für jemanden, der erst
kürzlich in Ohnmacht gefallen war, sah sie ziemlich fit aus, wenn auch nicht
mehr ganz so schön. Durch die helle Puderschicht waren Streifen geröteter Haut
zu sehen, offenbar hatte es sie einiges an Schweiß gekostet, die Treppen rauf-
und runterzurennen. Auch ihr Dekollete wies rote Flecken auf.
Es freute
mich, dass Gideon sie keines Blickes würdigte. »Ich weiß, wir sind spät dran,
Sir Aleott«, sagte er. »Wir wollten gerade hinuntergehen.«
»Das ...
ist nicht nötig«, erwiderte Aleott, nach Luft schnappend. »Es gibt eine kleine
Veränderung.«
Er musste
nicht mehr erklären, was er damit meinte, denn hinter ihm betrat Lord Alastair
den Raum, kein bisschen außer Atem, dafür aber unangenehm lächelnd.
»So sieht
man sich wieder«, sagte er. Ihm folgte wie ein Schatten sein Geistervorfahre im
schwarzen Umhang, der keine Zeit verlor, schwülstige Morddrohungen auszustoßen:
»Die Unwürdigen sterben einen unwürdigen Tod!« Wegen seiner röchelnden
Sprechweise hatte ich ihn bei unserer letzten Begegnung Darth
Vader getauft und ich beneidete alle, die ihn weder sehen noch
hören konnten. Seine toten käferschwarzen Augen durchbohrten uns voller Hass.
Gideon
neigte den Kopf. »Lord Alastair, welche Überraschung.«
»Das war
meine Absicht«, sagte Lord Alastair und lächelte süffisant. »Eine Überraschung
wollte ich Euch bereiten.«
Gideon
lotste mich beinahe unmerklich weiter in die Ecke, sodass der Schreibtisch
zwischen uns und den Besuchern stand, was mich nicht sehr beruhigte, weil es
sich um ein äußerst fragiles Rokokodamenmodell handelte. Eiche rustikal wäre
mir lieber gewesen.
»Verstehe«,
wiederholte Gideon höflich.
Ich
verstand auch. Das Morden war offensichtlich kurzerhand vom Keller in diesen
hübschen Raum hier verlegt worden, denn der Erste Sekretär war der Verräter
und Lavinia eine falsche Schlange. Im Grunde ganz einfach. Anstatt vor Angst
loszuschlottern, war mir plötzlich nach Kichern zumute. Das war einfach zu
viel für einen Tag.
»Aber ich
dachte, Ihr hättet Eure Mordpläne ein wenig differenziert, seit Ihr im Besitz
der Abstammungslinien der Zeitreisenden seid«, sagte Gideon.
Lord
Alastair machte eine wegwerfende Geste. »Die Stammbäume, die uns der Dämon aus
der Zukunft gebracht hat, haben nur gezeigt, dass es ein unmögliches
Unterfangen ist, Eure Linien gänzlich auszulöschen!«, sagte er. »Ich bevorzuge
die direkte Methode.«
»Allein
die Nachkommen dieser Madame d'Urfe, die am Hofe des Königs von Frankreich
gelebt hat, sind so zahlreich, dass es mehr als ein Menschenleben benötigen
würde, sie aufzuspüren«, ergänzte der Erste Sekretär. »Eure Beseitigung vor Ort
scheint mir unumgänglich. Wenn Ihr Euch neulich im Hyde Park nicht so gewehrt
hättet, wäre die Angelegenheit jetzt schon erledigt...«
»Was
bekommt Ihr als Lohn, Aleott?«, erkundigte sich Gideon, als würde es ihn
wirklich interessieren. »Was kann Euch Lord Alastair geben, dass Ihr den
Wächterschwur brecht und diesen Verrat begeht?«
»Nun, ich
...«, begann Aleott bereitwillig, aber Lord Alastair fuhr ihm über den Mund:
»Eine reine Seele! Das ist sein Lohn! Die Gewissheit, dass die Engel im Himmel
seine Taten lobpreisen werden, ist nicht mit Gold aufzuwiegen. Die Erde muss
von dämonischen Missgeburten wie Euch befreit werden - und Gott allein wird es
uns danken, dass wir Euer Blut vergießen.«
Jajaja.
Ganz kurz keimte in mir die Hoffnung, Lord Alastair brauchte einfach mal
jemanden, der ihm zuhörte. Vielleicht wollte er nur über seine religiösen Wahnvorstellungen
reden und ein bisschen getätschelt werden. Aber da röchelte Darth Vader »Euer
Leben ist verwirkt, Dämonengezücht« und ich verwarf den Gedanken wieder.
»Ihr
glaubt also, der Mord an einem unschuldigen Mädchen würde Gottes Beifall
hervorrufen? Interessant.« Gideons Hand fuhr in die Rockinnentasche, doch dann
zuckte er unmerklich zusammen.
»Sucht Ihr
vielleicht das hier?«, fragte der Erste Sekretär hämisch. Er griff in seine
zitronengelbe Rocktasche und zückte eine kleine schwarze Pistole, die er mit
spitzen Fingern in die Höhe hielt. »Ohne Zweifel ein teuflisches Mordgerät aus
der Zukunft, habe ich recht?« Beifall heischend schaute er zu Lord Alastair
hinüber. »Ich habe unsere verführerische Lady Lavinia hier gebeten, Euch
gründlich nach Waffen abzusuchen, Zeitreisender.«
Lavinia
warf Gideon ein
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