Gier nach Blut
Deshalb bezeichnete er es auch immer als seine hochkantstehende Streichholzschachtel, zu der auch die schmale Eingangstür genau paßte.
Der Mann war vor seinem Besucher eingetreten. »Es muß ja alles seine Richtigkeit haben, Mr. Ruiz, und Sie sollten es auch nicht persönlich nehmen, wenn ich von der Polizei gesprochen habe. Sie müßten doch auch ein Interesse daran haben, daß dieser Fall aufgeklärt wird. Ich gehe davon aus, daß jemand den Inhalt des Sargs gestohlen hat. Dies herauszufinden, müßte auch in Ihrem Interesse liegen.«
Ruiz sagte nichts. Er schloß nur leise die Tür und blieb in deren Nähe stehen.
Flannigan hatte hinter seinem Schreibtisch Platz genommen. Er wollte zum Telefon greifen, und zur selben Zeit überlegte Ruiz, wie er ihn davon abhalten konnte, aber beide Männer kamen nicht mehr dazu, ihre Vorsätze in Taten umzusetzen.
Flannigan war in der Bewegung erstarrt. Den Arm hielt er noch ausgestreckt. Man erkannte, daß er sich auf den Geruch konzentrierte.
»Was haben Sie?« fragte Ruiz.
»Riechen Sie nichts?«
Der Mann lächelte. »Wieso?«
Flannigan räusperte sich. »Dieser… nun ja… dieser… Totengeruch ist nach wie vor da. Er kommt mir sehr intensiv vor. Wie in diesem kleinen Lagerraum. Verdammt, das ist doch…«
»Sie irren!«
»Nein, ich irre mich nicht.« Flannigan stemmte seine Hände auf die Stuhllehnen, um sich in die Höhe zu drücken. Auch dazu kam er nicht mehr, denn hinter sich hörte er plötzlich ein Rascheln. Als würden dort trockene Zweige gegeneinander reiben.
Er drehte sich um.
Auch Ruiz hatte das Geräusch gehört. Es war aus einem hohen spindähnlichen Schrank gedrungen, in dem auch der Mantel des Mannes hing. Der bewegte sich.
Allerdings nicht von allein, denn als die Tür aufflog, da erschien SIE!
Flannigan, der sich halb gedreht hatte, wollte es nicht glauben. Er sah sich plötzlich einer kleinen Gestalt gegenüber, die er kaum beschreiben konnte. Sie wirkte auf ihn wie eine graue Mumie, allerdings mit Armen und Beinen, einer ebenfalls grauen Haut und einem lippenlosen Maul, aus dessen Oberkiefer zwei spitze Zähne wie gekrümmte Dolchspitzen nach unten wiesen.
»Was ist das?«
Als Antwort hörte er Ruiz schrill lachen.
Flannigan spürte die Panik in sich hochsteigen. Plötzlich fiel ihm auf, daß er den falschen Platz hatte. Er konnte nicht nach hinten weichen, denn dort wurde er von seinem eigenen Schreibtisch behindert. Es war auch zu spät, sich nach rechts oder links zu werfen, denn dieses Wesen wuchtete sich nach vom.
Es streckte die Arme aus, die krallenartigen Hände mit der dünnen Haut zielten auf Flannigans Kehle, der in seiner Verzweiflung den Oberkörper weit zurückgedrückt hatte und halb über der Platte des Schreibtisches lag.
»Ja!« schrie Ruiz, »hol ihn dir!« Sarah Helen Roberts schlug zu.
Sie hackte ihre zackigen, leicht angebrochenen Fingernägel in den Hals des Mannes. Sie zerrte den Kragen nach unten, sie sah die roten Striemen unter dem Kinn, und sie sah auch das Blut, das sich in ihnen sammelte.
Die Vampirin wurde zur Furie.
Flannigan kam nicht mal dazu, einen Hilfeschrei auszustoßen, denn die Krallen rissen ihm die Lippen auf. Blut sprudelte hervor, und die Blutsaugerin drängte sich weiter über ihn, den häßlichen Kopf nach unten gesenkt, das Maul weit geöffnet, um nur jeden Tropfen Blut in ihren ausgemergelten Körper zu saugen.
Sie trank, sie war unersättlich, und sie biß sich auch am Hals des Mannes fest.
Jorge Ruiz schaute fasziniert zu. Ja, er war fasziniert. Für ihn erfüllte sich ein Traum. Er hätte nicht damit gerechnet, daß Sarah Helen Roberts schon so weit fortgeschritten war. Sie hatte sich allein befreien können, sie war von selbst auf die Suche gegangen, und sie hatte auch ein gutes Versteck gefunden.
Nun war sie in ihrem Element.
Flannigan lag rücklings auf dem Schreibtisch. Er wehrte sich nicht mehr.
Auf seinem Körper spürte er den Druck der Vampirfrau, und nur die Hände bewegten sich noch flach über die Schreibtischplatte hinweg, ohne daß sie etwas ausrichten konnten.
Das Leben saugte man aus seinem Körper, und Jorge war fasziniert davon.
Er blieb nicht mehr an seinem Platz stehen, sondern umrundete teilweise den Schreibtisch, um an dessen Kopfende zu stoppen. Von dieser Stelle aus hatte er einen besseren Blick.
Lächelnd schaute er zu.
Die Vampirin hatte sich am Hals des Opfers festgebissen. Sie saugte dessen Blut, und der Mann konnte genau erkennen, wie sie die
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