Gier
dürfen. Ganz zu schweigen von dem, was er gefilmt hat.«
»Das sind also ...?«
»Höchstwahrscheinlich ja. Zwei ziemlich hohe Tiere aus der geheimsten italienischen Mafiaorganisation. Der âNdrangheta.«
Der Mentor
Den Haag, 11. April
Das Handy klingelte, während er auf ihrer Bettkante saà und ein erstes Lebenszeichen wahrnahm. Als er sah, dass sich die Telefonnummer auf dem Display hauptsächlich aus Fünfen zusammensetzte, spürte er den Wind. Der Wind des Verrats aus Glencoe war wie eine dauerhafte Bedrohung und fuhr regelrecht durch ihn hindurch. Er fühlte sich absolut schutzlos.
Arto Söderstedt hatte den Eindruck, unmittelbar vor einer existenziellen Wahl zu stehen. Vor dem inneren Auge dieses routinierten, geradezu abgeklärten Mannes zeichneten sich plötzlich zwei vollkommen unterschiedliche Wege für seine Zukunft ab.
Als er vor nicht allzu langer Zeit noch am Katheder vor einer Gruppe junger Leute gestanden hatte, die sich aus unerklärlichen Gründen dafür entschieden hatten, Polizisten zu werden, hatte er geglaubt, sich bereits auf der letzten Wegstrecke in Richtung Rente zu befinden. Er war als Dozent an der Polizeihochschule erstaunlich beliebt, und die Zukunft lag glasklar vor ihm. Kein einziges Mal während des gesamten ersten Jahres hatte er den aktiven Dienst vermisst. Natürlich vermisste er viele seiner Kollegen, aber die jungen Leute mit ihren entweder überzogen idealistischen oder vor Adrenalin strotzenden Beweggründen boten ihm genügend Ausgleich. Das Gefühl der Befriedigung, das er empfand, wenn es ihm gelang, diese ungewöhnlich hochgeschraubten Selbstdarstellungen zu durchdringen und dahinter den nackten Menschen zu begegnen, war für ihn fast zu einer Droge geworden. Die Arbeit als Lehrer hatte das exzentrischste Mitglied der A-Gruppe zum Psychologen gemacht. Doch dann hatte das Telefon geklingelt, ein alter Krieger mit Namen Hjelm hatte seine Verführungskünste spielen lassen, und Söderstedt war ihm gefolgt. Und er hatte seinen Entschluss kein einziges Mal bereut.
Die Polizeiarbeit war einfach eine noch stärkere Droge, und es gab nur wenige Polizisten, die so zielgerichtet handelten wie Arto Söderstedt. Seine Scheuklappen flatterten kein bisschen im Fahrtwind, während er seinem Ziel, und sei es eine Fata Morgana, entgegengaloppierte.
Doch in diesem Moment irritierte ihn etwas.
Er schaute auf das Display seines Handys, betrachtete all die Fünfen â und klickte den Anruf weg.
Dann wandte er sich wieder Jutta Beyer zu, die mit dem Gesicht im Kissen auf dem Bett lag und gerade erstmals ein Lebenszeichen von sich gab, seit der Schlüsseldienst ihre Wohnungstür aufgebrochen hatte. Dass es eher durch das Klingeln seines Handys als durch sein behutsames Streicheln über ihr Haar ausgelöst wurde, schmälerte seine aufopfernde Leistung ein wenig.
»Hast du etwa aufgelegt?«, fragte sie mit rot geweinten Augen.
»Es war nur ein Arbeitsgespräch«, antwortete er und spürte in der Tiefe seiner Seele, wie ähnlich sie einander doch waren. Dieses bescheidene Geschöpf diffusen ostdeutschen Ursprungs war in gewisser Weise mehr sein Kind als die businessverliebte Mikaela, die surfende Tagträumerin Linda, der Handballwikinger Peter, der Mathematiker Stefan und vielleicht sogar die zwanghaft aufrührerische kleine Lina. Doch das würde er nie im Leben zugeben, nicht einmal vor sich selbst.
»Nur ein Arbeitsgespräch?«, rief Jutta Beyer aus. »War das nicht Mr More von den Caymaninseln?«
»Er heiÃt nicht Mr More«, antwortete Arto Söderstedt.
»Ich habe ihn getötet«, schluchzte sie.
»Er erfreut sich bester Gesundheit«, erwiderte er. »Er heiÃt nur nicht Mr More.«
»Ich habe Tony getötet«, heulte sie los und warf sich erneut auf das Kissen. Er strich ihr leicht übers Haar und sagte:
»Du weiÃt, dass das nicht stimmt, Jutta. In diesem Fall überschätzt du deine Bedeutung. Chief Superintendent Anthony L. Robbins ist ein erwachsener Mensch, er weiÃ, dass Polizeiarbeit nie ungefährlich ist.«
»Wusste«, schniefte Jutta Beyer. »Möglicherweise wusste er das. Aber das macht mich schlieÃlich nicht weniger zur Mörderin.«
»Wenn irgendwer Tony ermordet hat, dann war ich es, Jutta«, sagte Arto Söderstedt und warf endlich das Handy auf den Nachttisch, das schon in seiner
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