Gier
zusammenhängt.«
»Ich habe nicht vor, die Zeit damit zu vergeuden, deine analytischen Fähigkeiten zu loben«, entgegnete Jon Anderson. Erneut zeigte sich eine Falte auf seiner Nasenwurzel. »AuÃerdem befindet sich meine Abteilung auf dünnem Eis.«
»Du hast also mit anderen Worten nicht hier geschlafen«, schloss Kerstin Holm. »Ich habe mich getäuscht. Du bist in wachem Zustand die Nacht über hier gewesen.«
»So kann man es ausdrücken.«
Sie schwiegen einen Moment. Holm fragte sich, ob man es ihr ansah, dass sie sich ebenfalls auf dünnem Eis befand. Das dünne Eis einer noch absolut geheimen internationalen Polizeieinheit.
»Meine analytischen Fähigkeiten sind in der Tat nicht zu verachten«, sagte sie schlieÃlich. »Da Jorge zu Europol übergewechselt ist, konntest du diesen interessanten Job als Verantwortlicher der neuen Abteilung für die kompliziertesten Fälle von Computer- und Internetkriminalität bei der Reichskriminalpolizei übernehmen. Es gibt mit Sicherheit riesige Flächen mit dünnem Eis in diesem Zusammenhang, aber keine so dünnen wie bei der RaV.«
Jetzt hatten sich zwei Falten auf Jon Andersons Stirn gebildet. Er hob die Schultern leicht und sagte: »Es dauert noch ein halbes Jahr, bis die RaV formalen Zugang zum Netz der Telefonanbieter erhält.«
»Aber du hast das System schon einmal heimlich getestet?«
»Es kommt darauf an, wie offiziell du dich mir gegenüber geben möchtest, Kerstin.«
»Was hältst du von gar nicht?«
»Gefällt mir ausgezeichnet«, antwortete Anderson.
Dann wurde es wieder eine Weile still. Sie sah, wie er sich die Worte auf der Goldwaage seiner Zunge zurechtlegte. SchlieÃlich entschied er sich für einen Umweg.
»Wenn ich aufrichtig sein soll, ich habe noch nicht ganz verstanden, worauf genau diese Erweiterung der Europol-Einheit abzielt. So viele hyperkompetente Polizisten, aber irgendwie scheinen sie nicht aktiv zu werden. Gestattest du mir, dass ich ebenfalls gewisse analytische Ãberlegungen anstelle?«
»Be my guest«, entgegnete Kerstin Holm und ordnete ihre wuschelige Frisur, damit man ihr nicht ansah, wie breit sie lächelte.
»Wir alle wissen ja, dass Europol zum Jahreswechsel eine Umstrukturierung durchführt«, sagte Anderson. »Zu dem Zeitpunkt werden auch alle Punkte des Stockholmprogramms beschlossene Sache sein. Vieles deutet darauf hin, dass Europol sich einer stärker operativ ausgerichteten Institution annähert.«
»Bist du sicher, dass deine Zeit ausreicht?«, fragte Holm mit einem Blick auf ihre Armbanduhr.
»Ist es wirklich das, was ihr vorhabt?«, rief er mit weit geöffneten Augen. »Ihr wollt ein europäisches FBI gründen?«
»Es kommt darauf an, wie offiziell du dich mir gegenüber geben möchtest, Jon.«
»Was hältst du von gar nicht?«
»Gefällt mir ausgezeichnet«, antwortete Kerstin Holm und lächelte. »Was willst du also?«
Jon Anderson räusperte sich, holte tief Luft und antwortete: »Wir haben bereits eine Gruppe von Wiederholungstätern zusammengestellt, die wir gerne demnächst der RaV-Ãberwachung zuführen würden. Dafür werden ziemlich umfangreiche Unterlagen erforderlich sein wie Gerichtsbeschlüsse und die Genehmigung durch die Regierung und des Nachrichtendienstes und was weià ich noch alles. Wenn wir also eine Ãberwachung durchsetzen wollen, müssen wir sicher sein, dass unsere Indizien absolut wasserdicht sind. Also müssen wir Testläufe durchführen. Mittlerweile konnten wir das System ein paar Tage lang testen. Wir haben alles dabei. Hardcorepädophile, die uns früher jedes Mal aufs Neue durch die Lappen gegangen sind. Internetbetrüger jeglicher Couleur und auch kleine, aber nicht minder nervenaufreibende Kriminelle aus dem Bereich Internetmobbing, notorische Beleidiger und Personen, die Morddrohungen verbreiten. Ich glaube, du kennst solche Typen auch.«
»Absolut«, bestätigte Holm. »Bevor die Filtersysteme wirksam wurden, hatte ich einige von ihnen hier bei mir. Männer, die Frauen bedrohen.«
»Und hassen. Eine erstaunlich groÃe Gruppe. Wir haben ein paar für den Test herangezogen. Im besten Fall können wir ihnen Angst einjagen, damit sie aufhören, die Leute zu schikanieren. Sie sind oft extrem feige. Und dennoch benutzen sie
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