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Gier

Gier

Titel: Gier Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Arne Dahl
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nichts anderes mehr, worauf sie starren könnte, nur die Uhr ihres Handys. Sie springt gerade auf 20: 00 Uhr um. Was sollte sie abends um acht denn draußen machen? Wohin sollte sie gehen? Alle Spuren sind inzwischen getilgt. Aber wenn sie im Zimmer bleibt, tauchen erneut die Gesichter auf. Es sind die schönsten Gesichter, die es gibt, aber auch diejenigen, die ihr am meisten Angst machen. Die Einzigen, denen es gelingt, ihr Inneres ins Gleichgewicht zu bringen.
    Sie kommen ihr seit langer Zeit wieder ganz nahe. Sie lächeln, lachen. Zwei Schaukeln auf dem Schulhof in Bengbu. Das eine Mal ist Cheng ganz oben, das andere Mal Shuang. Die Stimmen der Zwillinge überlagern sich, in ihrer Erinnerung sind sie einander so ähnlich und doch so leicht zu unterscheiden. Als Cheng ganz oben ist, hört sie seine Stimme, als Shuang ganz oben ist, seine. Es ist ein merkwürdiger spukähnlicher Wechselgesang.
    Sie hält sich die Hände vors Gesicht. Versucht die Bilder abzuschwächen, die Stimmen zu dämpfen. Sie weiß, dass es mit ihrer Ruhe vorbei ist, wenn ihr das nicht gelingen sollte.
    Als ginge es um Ruhe.

Die Stunde danach
Den Haag – Krakau – London – Stockholm, 10. April
    Als sie in das Café-Restaurant Rootz an der Kreuzung Raamstraat und Grote Marktstraat einfielen und die Uhr in dem Moment gerade auf 20: 00 Uhr umsprang, schienen sie unglaublich viele zu sein. Dennoch waren sie nicht mehr als zwölf. Eigentlich hätten sie dreizehn sein müssen.
    Dreizehn bei Tisch.
    Während der vier Kilometer vom Raamweg bis hin zur Raamstraat hatten sich dem Zug immer neue Personen angeschlossen, der erstaunlich friedfertige Ehemann von Lavinia Potorac mit Kinderwagen, die zierliche spanische Ehefrau von Felipe Navarro und Arto Söderstedts finnlandschwedische, etwas zurückhaltende Frau Anja. Komplettiert wurde die Seilschaft durch die Singles Laima Balodis, Angelos Sifakis und Fabio Tebaldi sowie den Strohwitwer Jorge Chavez, der kundtat, Durst auf das »beste belgische Bier der Stadt« zu haben. Hinzu kamen selbstverständlich noch zwei ebenso schweigsame wie muskelbepackte italienische Leibwächter.
    Das Personal warf unruhige Blicke auf die beachtliche Schar, die von draußen aus dem Sturzregen hereinströmte wie ein Fluss, der über seine Ufer tritt. Dennoch wurde ihnen der vorbestellte Tisch zugewiesen.
    Â»Trappistenbier, Trappistenbier«, murmelte Chavez und blätterte wild in der umfangreichen Speisekarte. »Wo steht es denn nur?«
    Â»Dort«, antwortete Navarro und wies darauf. »Westvleteren, Orval, Achel, Chimay, Westmalle. Du hast die freie Auswahl.«
    Â»Aber woher soll ich wissen, welches gut schmeckt?«, fragte Chavez.
    Â»Indem du dich durchtrinkst«, entgegnete Tebaldi teilnahmslos und fuhr bedeutend energischer fort: »Jetzt werden verdammt noch mal die Loyalitäten in einigen verschlafenen Demokratien auf die Probe gestellt.«
    Â»Keine Arbeitsgespräche«, winkte Sifakis ab. »Das ist ein Versprechen an die anwesenden besseren Hälften.«
    Â»Und dennoch fragt man sich, was du damit meinst«, sagte Lavinia Potorac, während sie ihre schlafende Tochter leicht auf ihrer Schulter auf- und abwippte.
    Â»Du willst doch wohl nicht leugnen, dass die Korruptionsrate in den ehemaligen Ostblockstaaten ziemlich hoch ist«, erklärte Tebaldi.
    Â»Ja, jedenfalls im Unterschied zu Italien. Klar.«
    Â»Westvleteren klingt interessant«, meinte Navarro und legte den Arm um seine schmale Ehefrau. »Es wird in der Abtei Sankt Sixtus in Westflandern gebraut, und man bekommt es nicht im Laden. Rootz gehört zu den wenigen Kneipen in Holland, die es ausschenken.«
    Chavez ging noch einmal den Getränketeil der Karte durch und fragte: »Gibt es in – was steht dort? – Twaalf, Acht und Zes. Was ist das?«
    Â»Twaalf ist das stärkste, dunkel, zehnprozentig. Unglaublich gut.«
    Â»Will denn keiner etwas essen?«, fragte Laima Balodis.
    Â»Du könntest gut etwas mehr auf den Rippen vertragen«, sagte Söderstedt und kassierte einen mörderischen Blick seiner Frau sowie einen erstaunten von Balodis.
    Â»Du bist eher derjenige, der das nötig hätte«, entgegnete Chavez. »Ich habe im letzten halben Jahr fünf Kilo zugenommen und habe keine Ahnung, wieso. Ich habe nichts anders gemacht als sonst und vorher noch nie zugenommen.«
    Â»Du bist

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