Gift und Geld
Sie
pünktlich sind — ich habe schon angefangen, mich allein in diesem großen Haus
zu langweilen.«
Ich
folgte ihr über die Diele ins Wohnzimmer, und wir setzten uns an die
reichbestückte Bar, die die Hälfte einer Wand einnahm.
»Ich
freue mich, von der Bibliothek ins Wohnzimmer avanciert zu sein«, sagte ich.
»Wissensdurst ist eine feine Sache, aber wer kann schon ein Buch trinken?«
»Wally
hat niemals auch nur den Versuch unternommen, ein Buch zu lesen«, sagte sie.
»Machen Sie die Drinks zurecht?«
»Gern«,
sagte ich sofort und ging hinter die Bar.
»Für
mich bitte einen Old Fashioned «, sagte sie. »Ich bin im Grund meines Herzens ein
sehr altmodisches Mädchen.«
Ich goß die Gläser ein, während
sie sich eine Zigarette anzündete. Wieder blickte sie mich an, und ihre dunklen
Augen ließen mich wie einen Käfer unter einem Mikroskop ein wenig zappeln.
»Wir sollten uns bei unseren
Vornamen nennen« sagte sie energisch. »Einen Mann, mit dem ich allein im Haus
bin, mit >Lieutenant< anzureden, verstößt gegen meinen Stil. Ich heiße
Gail.«
»Al«, sagte ich.
»Kommen Sie, wir wollen es uns
auf der Couch gemütlich machen Al.« Sie ging mir voran, und der seidene
Morgenmantel knisterte auf intime Weise.
Ich nahm mein Glas mit und
setzte mich mit leicht beschleunigtem Puls neben sie auf die Couch.
»Wie steht es mit Ihren
Ermittlungen!« fragte sie lässig.
»Die Sache entwickelt sich
stetig weiter«, sagte ich. »Im Augenblick in Form einer neuen Leiche.«
»Es ist noch jemand ermordet
worden?« Ihr Körper straffte sich unwillkürlich, als ob sie einen Schlag
abwehren wollte. »Wer?«
» Kirkland «,
sagte ich. »Aus ist es mit dem College-Boy — aber er wurde nicht ermordet, er
hat Selbstmord begangen. Er hat sich gestern nacht erschossen.«
»Dann muß er wohl einen Grund
dazu gehabt haben!« Sie entspannte sich, so daß ihre Rundungen wieder den
gewohnten harmonischen Schwung annahmen.
»Der Sheriff hat eine Theorie«,
fuhr ich fort und berichtete ihr mit ziemlicher Ausführlichkeit — daß sowohl
ihr Mann wie auch Rita Keighley durch Curare
umgebracht worden waren — daß Kirkland Zugang zu dem Gift hatte — und auch über Lavers Vorstellungen hinsichtlich des Motivs für beide
Morde.
Als ich geendet hatte, war ihr
Glas leer. Ich nahm es mit zur Bar und goß uns beiden frisch ein.
»Es ist die Theorie des
Sheriffs, sagen Sie?« Sie senkte den Kopf, um sich eine Zigarette anzuzünden,
und blickte dann wieder zu mir auf. »Aber nicht die Ihre?«
»Für meinen Geschmack klaffen
da zu viele Lücken«, sagte ich. »Und wir wissen auch nicht mit Sicherheit, ob Kirkland Selbstmord begangen hat — nicht, bevor der Doktor
mit der Autopsie fertig ist und die Jungens vom Labor ihre Arbeit beendet
haben.«
»Aber Sie sagten doch eben, er
habe Selbstmord begangen.«
»Es sah so aus.« Ich brachte
die Gläser zur Couch zurück und setzte mich wieder, diesmal ein wenig näher an
sie heran, so daß sich unsere Knie berührten.
Sie nippte ein wenig an ihrem
Glas und zuckte dann leicht die Schultern. »Sie wollen nun einmal Ihre
Hauptverdächtige — mich — nicht aus den Fingern lassen!«
»Das ist eine scharfsinnige
Erkenntnis, Gail«, sagte ich bewundernd. »Sie können sogar das Wort >Hauptverdächtige<
weglassen, und Sie haben noch immer recht!«
»Dieser zartfühlende
Annäherungsversuch ist unwiderstehlich, Al!« In ihrer Stimme lag ein Unterton
von Schärfe. »Wally war in dieser Form des Dialogs hervorragend — vermutlich
hat er in erster Linie auf diese Weise seine kleine Sekretärin erobert.«
Ich zuckte zusammen.
»Entschuldigung — ich habe nicht realisiert, daß zartfühlende Dialoge und
heimliche Annäherungsversuche notwendig sein würden. Soviel ich begriffen
hatte, luden Sie mich mit der Versicherung hierher ein, die Hausangestellten
würden nicht da sein — und so, wie Sie die Sache hinstellten, hätte ich
jegliche Konversation als Zeitverschwendung betrachtet.«
»Sie
müssen mich mißverstanden haben«, sagte sie mit
leicht gelangweilter Stimme, »Das war reine Höflichkeit. Ich dachte, Sie hätten
noch eine Menge weiterer Fragen auf dem Herzen, und ich wollte Ihnen
Gelegenheit geben, sie zu stellen, ohne dabei gestört zu werden.«
»Das
ist der Grund, weshalb Sie das dünne Fähnchen hier tragen?« Ich hob den Saum
des Morgenmantels und rieb die Seide zwischen den Fingern.
»Ich
trage es, weil es bequem ist.« Sie wischte mit einer ungeduldigen Geste
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