Gift
gestern Nacht zurück nach Mexiko.«
»Im Ernst? Wann sind sie abgereist?«
»Ich habe sie in San Francisco zum Flughafen gebracht. Dort
gab es um Mitternacht noch einen Mexicana-Flug. Wir waren gegen elf am
Flughafen.«
»Wann sind Sie in Oakland losgefahren?«
»Gegen zehn, glaube ich.«
»Warum sind sie ausgerechnet jetzt zurück?«
»Das wissen Sie doch, Licenciado . Sie hatten keine Arbeit, und Miguel hat die beiden
behinderten Kinder. Er dachte, er sollte besser nach Hause
zurückkehren, um seiner Frau mit den Kindern zu helfen. Und José hat
ihn begleitet. Die beiden sind ja unzertrennlich.«
»Sie hätten lieber schon vor einer Woche verschwinden sollen«,
sagte Janak.
»Wie meinen Sie das, Licenciado ?«
»Es macht nicht gerade einen besonders guten Eindruck, genau
in dem Moment von der Bildfläche zu verschwinden, wenn so etwas
passiert ist.«
»Sie glauben doch nicht etwa, sie hatten etwas mit diesem Mord
zu tun?«
»Nein, natürlich nicht. Aber die Polizei wird das sicher
anders sehen. Was ist mit Narcio Padia?«
»Er hat wie ich einen neuen Job in Emeryville.«
»Haben Sie ihn heute dort gesehen?«
»Heute? Nein, er hat heute nicht gearbeitet. Aber gestern war
er den ganzen Tag dort.«
»Wissen Sie, warum er nicht zur Arbeit gekommen ist?«
»Keine Ahnung, Licenciado . Wahrscheinlich
irgendwas mit der Familie.«
»Wann machen Sie Feierabend?«
»Um fünf.«
»War er bis fünf da?«
»Aber sicher, Licenciado . Wir
sind zusammen gegangen.«
»Haben Sie nach der Arbeit noch etwas miteinander unternommen?«
»Nein.«
»Wissen Sie, wo Narcio wohnt?«
»Irgendwo in Richmond.«
»Etwas weiter weg wäre besser gewesen«, sagte Janak besorgt.
»Haben Sie seitdem noch mal mit ihm gesprochen?«
»Nein, Licenciado . Seit
gestern um fünf habe ich nichts mehr von ihm gehört oder gesehen.«
»Okay, Juan, muchas gracias . Und
nicht vergessen: Sprechen Sie mit niemandem, wenn ich nicht dabei bin.
Wissen Sie, wie ich Miguel oder José erreichen kann?«
»In Miguels Haus in Mexiko gibt es kein Telefon. Ich kann ihm
höchstens schreiben, aber die mexikanische Post ist ziemlich langsam.«
»Danke, Juan.«
Janak legte auf. Sein Verstand arbeitete auf Hochtouren, als
er sich ein paar Notizen machte. Wie immer, wenn er aufgeregt war, rieb
er über die Narbe an seiner Wange. Die Cops würden mit Sicherheit
geltend machen, dass sowohl Miguel und José als auch Narcio und Juan
genügend Zeit gehabt hätten, um ihren Boss zwischen fünf und zehn Uhr
abends aufzuknüpfen, bevor sie zum Flughafen gefahren waren, um sich
nach Mexiko abzusetzen.
Er griff erneut zum Telefonhörer. »Juan, ich bin's noch mal,
Janak. Waren Sie gestern den ganzen Abend mit Miguel und José zusammen,
bevor Sie sie zum Flughafen gebracht haben?«
»Ja, Licenciado . Sie
wissen doch, dass sie hier wohnen. Sie waren beide bei uns zu Hause,
als ich herkam. Wir haben wie jeden Tag zu Abend gegessen und dann
Fernsehen geschaut, bis es Zeit wurde, loszufahren.«
»Wissen Sie noch, was Sie sich angesehen haben?«
»Ja, die Serie über diesen Anwalt. Wie heißt er gleich wieder?«
»Meinen Sie Perry Mason?«
»Ja, ja, genau die. Eine tolle Serie, finde ich. Wir lassen
uns keine Folge entgehen.«
»Wann fängt sie an?«, fragte Janak.
»Donnerstags um acht. Außerdem lernen wir auf diese Weise
etwas Englisch, Licenciado .«
»Sehr gut, Juan. Dass Sie die Sendung gesehen haben, ist schon
mal ein kleines Plus. Sie hören später noch mal von mir.« Janak legte
auf.
Als Nächstes rief der Anwalt Narcio Padia an. Seine Frau ging
ans Telefon und sagte ihm, ihr Mann sei in Point Richmond bei der
Arbeit; er habe um sechs Uhr dreißig angefangen und komme erst nach
Mitternacht nach Hause, weil er abends in einem Restaurant in der Nähe
des Seafood Merchant arbeite.
»Juan Ramos hat mir erzählt, dass Narcio heute in Emeryville
nicht zur Arbeit erschienen ist.«
»Ja, wir waren mit unserem Kleinsten im University Hospital in
San Francisco beim Arzt.«
»Das war doch sicher wegen der Probleme, derentwegen ich Sie
vertrete, oder?«
»Ja, wegen des verkrüppelten Beins, mit dem er schon auf die
Welt gekommen ist, Licenciado . Sie
waren es auch, der uns den Doktor empfohlen hat.«
»Ja, ich weiß. Wie geht es Ihrem Sohn?«
»Es ist sehr schwer für ihn, Licenciado , und es ist schwer für uns.«
Während Janak mit der Frau telefonierte, knöpfte er seine
Anzugjacke auf und wand sich aus ihr heraus, dann ließ er sie auf der
Armlehne
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