Gift
hin.
»Nein, danke. Führ mich bitte nicht in Versuchung.« Samuel
drehte sich um und rief in Richtung Bar. »Einen Scotch on the rocks!«
Als er am Nachmittag in Janak Marachaks Kanzlei angerufen
hatte, war der Anwalt nicht da gewesen. Deshalb hatte er seine
Sekretärin Vanessa Galo gebeten, Janak auszurichten, er möge ihn
umgehend anrufen, sobald er in die Kanzlei zurückkam. Aber Samuel hatte
immer noch nichts von dem Anwalt gehört.
Er holte seinen Notizblock aus der Tasche und tippte mit dem
Bleistift auf den von Feuchtigkeitsringen übersäten Eichentisch. Er
legte sich im Kopf in groben Zügen zurecht, welchen Anhaltspunkten er
weiter nachgehen sollte, und stellte eine Liste auf:
1.
Erkundigungen über Armand Hagopian
einziehen. Wo anfangen?
2.
Wie viele konkrete Hinweise gibt es auf
den oder die Täter?
3.
Ist es wirklich ein Racheakt?
4.
Gibt es einen größeren Zusammenhang?
Erfolgreiche Geschäftsleute werden nicht ohne Grund ermordet. Waren die
mexikanischen Arbeiter wirklich daran beteiligt?
5.
Läuft zwischen Janak und Blanche etwas?
Samuel war in seine Gedanken vertieft, als
Janak Marachak die Bar betrat und ihm zuwinkte.
»Augenblick, ich komme gleich zu dir.« Mit diesen Worten
verschwand Janak nach hinten in die Herrentoilette.
Als er zurückkam und an der Bar haltmachte, um sich etwas zu
trinken zu holen, war in dem großen Spiegel ein hochgewachsener,
kräftiger Mann mit einem finsteren, grobschlächtigen Gesicht, grauen
Augen und wild zerzaustem kastanienbraunem Haar zu sehen. Die Narbe auf
seiner Wange war die Folge einer Schlägerei während seines Studiums,
die damit geendet hatte, dass ihm eine zerbrochene Flasche ins Gesicht
gerammt worden war. Die Narbe hob sich deutlich von seiner gebräunten
Haut ab, die eine Folge der zahlreichen Tennismatche war, bei denen er
seine überschüssige Energie loszuwerden versuchte. Mit dem Drink in
seiner Hand kam er an das große Fenster am Eingang und setzte sich zu
Samuel an den runden Tisch. Er strich die Ärmel seines zerknitterten
grauen Anzugs glatt und lockerte den Knoten seiner roten Krawatte.
»Janak, darf ich dir Melba vorstellen? Ihr gehört die Bar«,
sagte Samuel.
Melba wollte aufstehen, um die beiden Männer nicht zu stören,
doch Janak hielt sie zurück. »Schön, Sie endlich mal kennenzulernen,
Melba.« Er reichte ihr die Hand. »Ich bin öfter hier und unterhalte
mich hin und wieder mit Ihrer Tochter.«
»Freut mich, dass es Ihnen bei uns gefällt.« Sie stand auf.
»Komm, Excalibur. Die Jungs haben zu arbeiten; da wollen wir sie nicht
stören.« Gefolgt von dem kleinen Hund, der nie von ihrer Seite wich,
zog sich Melba an den hufeisenförmigen Tresen zurück, um mit dem
Barkeeper die Bestellungen durchzugehen.
»Vanessa hat mir erzählt, du hättest mich zu erreichen
versucht«, begann Janak und rückte mit seinem Stuhl ein Stück zur
Seite, damit sie an dem runden Tisch mehr Platz hatten. »Als ich in der
Redaktion angerufen habe, warst du allerdings schon weg. Aber die
Kollegen haben mir gesagt, ich könnte dich hier finden.«
»Gut, dass du meine Nachricht erhalten hast. Wahrscheinlich
weißt du ja bereits von diesem Mord in Richmond.«
»Nur das, was du Vanessa erzählt hast. Ich komme gerade aus
Los Angeles zurück. Deshalb hatte ich noch keine Zeit, mich weiter
darüber zu informieren.«
»Der Inhaber der Mülldeponie in Point Molate wurde tot am
Eingangstor der Müllkippe gefunden.«
»Schlimme Geschichte«, sagte Janak. »Bisher bin ich noch nicht
mal dazu gekommen, mir seine eidesstattliche Aussage anzusehen. Ich
habe nämlich wegen der Geburtsfehler der Kinder seiner Arbeiter eine
Zivilklage gegen ihn und seine Firma eingereicht.«
»Der zuständige Detective hat uns erzählt, alle Arbeiter, die
sich der Klage angeschlossen hätten, seien entlassen worden. Könntest
du vielleicht ermöglichen, dass ich mit ihnen sprechen kann?«
»Das ließe sich bestimmt machen.« Marachak zog eine Augenbraue
hoch. »Nach diesem Vorfall möchte ich allerdings nicht, dass meine
Mandanten in der Öffentlichkeit zu viel sagen. Wahrscheinlich wäre es
besser, wenn ich dir einfach ein paar Hintergrundinformationen
gebe – du weißt schon, ganz inoffiziell. Dann musst du deine
Quelle nicht preisgeben, und ich kann offener mit dir reden.«
»Okay«, sagte Samuel.
»Hattest du den Eindruck, dass die Cops den Mord den
mexikanischen Arbeitern anlasten wollen?«
»Ich hatte zumindest das Gefühl, dass im Moment
Weitere Kostenlose Bücher