Gift
der Sache hier zu tun?«
»Nichts. Es ist nur, dass ich an Lucine denken musste, als wir
auf dieses französische Etikett zu sprechen kamen. Was in diesem
Zusammenhang allerdings wichtig sein könnte, ist die Verbindung
zwischen Hagopian und Frankreich. Vielleicht sollte einer von uns
hinfliegen und dort Nachforschungen anstellen. Ich nehme dich in mein
Team auf, Samuel. Oder entscheide ich da über deinen Kopf hinweg?«
»Ganz und gar nicht. Ich würde dir sehr gern helfen. In erster
Linie natürlich, weil ich dann als Erster an die Informationen für
meine Artikel komme, aber ich finde auch, dass du in deiner
Einschätzung der Lage richtigliegst. Deinen Mandanten soll dieser Mord
nur angehängt werden. Bist du sicher, dass du die Fotos schon morgen
bekommst?«
»Ja, Deadeye hat Bernardi grünes Licht erteilt, deshalb wird
er sie morgen früh herausrücken. Komm doch gegen zehn in meine Kanzlei.«
»Gut. Und die Fotos von der Beerdigung werde ich gleich
mitbringen.«
Janak stand auf, und Samuel folgte ihm mit dem Glas in der
Hand zu dem runden Tisch am Eingang der Bar. Samuel fiel auf, dass sein
Freund müde aussah. Er ließ seine breiten Schultern merklich hängen. Um
sich gegen den kühlen Winterabend zu wappnen, in den er gleich
hinaustreten würde, raffte Janak die Aufschläge seiner Anzugjacke
zusammen und zog den Kopf zwischen den Schultern ein. Dann verließ er
mit seiner schweren Aktentasche in der Hand das Camelot.
Samuel spürte, wie in ihm unerwartete Sympathie für den Mann
aufkeimte. Den wenigen Andeutungen nach zu schließen, die er ihm
gegenüber gerade gemacht hatte, hing Janak ähnlich wie er einer
unglücklichen Liebe nach. Er fragte sich, wie intensiv diese Beziehung
in Paris gewesen und warum nichts daraus geworden war. Wenn Janak immer
noch an Lucine hing, hatte er vielleicht gar kein ernsthaftes Interesse
an Blanche. Das zerstreute Samuels Befürchtungen zum Teil, aber
keineswegs vollständig. Zu dumm, dass Lucine in Europa lebte. Er
schaute aus dem Fenster auf die funkelnden Lichter des Finanzdistrikts
hinaus, und während er das letzte Stück Eis in seinem Glas hin und her
schwenkte, überlegte er, ob er sich noch einen Scotch genehmigen
sollte. Nein, das kam überhaupt nicht in Frage. Widerstrebend ließ er
das leere Glas auf dem Tisch stehen und stand auf. Weil Blanche zu
beschäftigt war, um sich länger mit ihm unterhalten zu können, ging er
an die Bar, um sich von ihr zu verabschieden. Doch dann fasste er sich
ein Herz und fragte sie, ob sie Lust hätte, wieder einmal etwas mit ihm
zu unternehmen. Sie war einverstanden, und sie verabredeten sich fürs
Wochenende.
4
JEDE MENGE ÄRGER
D as Wartezimmer von Janaks Kanzlei war
brechend voll, als Samuel am nächsten Morgen dort eintraf.
Chemiearbeiter mit allen möglichen Schädigungen – einige mit
Ausschlägen im Gesicht, andere mit verbundenen Armen und Beinen, einer
sogar blind – warteten geduldig, dass sie an die Reihe kamen.
Janaks Kanzlei war für diese Menschen ein Ort der Hoffnung, an dem sie
sich eine Antwort auf die Frage erwarteten, was an ihrem Arbeitsplatz
mit ihnen passiert war und warum. Und Janak konnte sie als einer der
wenigen Anwälte in der Bay Area dabei unterstützen, ihr Leben wieder in
den Griff zu bekommen.
Weil Janak Marachak noch nicht eingetroffen war, wurde Samuel
von seiner Sekretärin Vanessa Galo in Empfang genommen. Sie stammte
ursprünglich aus Managua in Nicaragua, lebte aber schon so lange in
Kalifornien, dass sie außer Spanisch, das sie bei vielen von Janaks
Mandanten brauchte, auch akzentfreies Englisch sprach und, wenn nötig,
für ihren Chef dolmetschte. Janak hatte sie vom Fleck weg eingestellt,
als sie sich bei ihm auf eine Zeitungsannonce meldete. Er wollte nicht
einmal Referenzen von ihr sehen, denn der wache Blick ihrer
intelligenten braunen Augen und die Prägnanz, mit der sie seine Fragen
beantwortete, waren ihm Empfehlung genug. Vanessa hatte eine gute Figur
und sah auch ungeschminkt sehr gut aus. Sie kleidete sich schlicht, was
jedoch möglicherweise aber auch an ihren begrenzten finanziellen
Mitteln lag.
Obwohl Vanessa nie zuvor als Anwaltsgehilfin gearbeitet hatte,
schmiss sie, schon sechs Monate nachdem Janak sie eingestellt hatte,
den Laden, als hätte sie in ihrem Leben nie etwas anderes getan, und
arbeitete sich so intensiv in die einzelnen Fälle ein, dass sie sich
binnen kürzester Zeit zu einer Anwältin ohne Examen gemausert hatte.
Vanessa wusste in jeder Situation,
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