Gift
was sie zu tun hatte, und Janak
erzählte jedem, der es hören wollte, dass sie der wichtigste Mensch in
seinem Leben war, zumal sie sich auch um Janaks Privatangelegenheiten
kümmerte.
Vanessa führte Samuel in die Bibliothek, deren Wände von
Regalen mit juristischen Werken eingenommen wurden. In der Mitte war
ein zwei Meter langer Tisch, auf dem drei Aschenbecher voller
Zigarettenkippen standen. Vanessa nahm sie und trug sie kopfschüttelnd
nach draußen.
An einem kleinen Tisch in der Ecke sah Samuel einen Mann über
Stapel von Akten gebeugt. Er war klein und schmächtig, mit hängenden
Schultern, und sah älter aus, als er tatsächlich war. Sein abgetragenes
Sportsakko hing schlapp über der Lehne seines Stuhls. Er schenkte
Samuel keine Beachtung, weshalb dieser ihn ebenfalls ignorierte.
Der Mann hieß Bartholomew Asquith. Er war Sozius einer großen
Kanzlei in San Francisco gewesen, aber wegen einer massiven Phobie war
es ihm nicht möglich, vor Gericht aufzutreten oder auch nur vor mehr
als ein paar Menschen zu sprechen. Sein Zustand verschlimmerte sich so
sehr, dass er irgendwann überhaupt nicht mehr sprach, und weil daran
selbst eine längere Therapie nichts ändern konnte, schied er
schließlich aus der Kanzlei aus. Daraufhin arbeitete er sechs Monate
lang überhaupt nicht mehr und lebte von seinen Ersparnissen. Als diese
eines Tages aufgebraucht waren, meldete er sich, wenn auch
widerstrebend, auf eine Anzeige Janaks, in der dieser im Recorder, der Juristenzeitung für die Bay Area, einen Anwalt für
Recherchetätigkeiten gesucht hatte. Janak, der Asquiths juristische
Fähigkeiten sofort erkannte, zerstreute dessen Bedenken, indem er ihm
zusicherte, alle Gerichtstermine selbst zu übernehmen, sodass er in der
Öffentlichkeit nicht auftreten müsste. Asquiths Aufgabenbereich würde
sich darauf beschränken, Recherchen anzustellen, Schriftsätze zu
verfassen und Janak für den Fall, dass sich ein rechtliches Problem
stellte, das Janak nicht allein lösen konnte, ins Gericht zu begleiten,
wo er ihm die Antwort nur zuzuflüstern brauchte, ohne selbst etwas vor
Publikum sagen zu müssen.
Asquith ging einen Kaffee holen, und Samuel machte sich daran,
die Liste durchzugehen, die er ein paar Tage zuvor zusammengestellt
hatte. Wenig später kam Janak mit den Fotos herein, die er von Bernardi
bekommen hatte, und gab Samuel einen freundschaftlichen Klaps auf die
Schulter.
»Und? Was gibt es Neues von unserem Freund Bernardi?«, fragte
Samuel gespannt.
»Er war leider nicht sehr gesprächig. Aber ich habe ihn
immerhin so lange bearbeitet, bis er mir erzählte, dass ihm Deadeye
Redeverbot erteilt hat. Mehr wollte er allerdings nicht rauslassen.«
»Das sind keine guten Nachrichten. Noch vor kurzem war er
durchaus kooperativ.«
»Mag sein. Aber im Moment fährt er strikt den Kurs, der ihm
von oben vorgegeben wird.«
Janak trug einen frischgebügelten grauen Anzug mit einem
weißen Hemd und einer gestreiften Krawatte und sah wesentlich
aufgeräumter aus als am Abend zuvor, hatte aber wegen akuten
Schlafmangels immer noch dunkle Ringe unter den Augen. Er breitete die
Fotos vom Tatort auf dem Tisch aus. Es waren Nahaufnahmen von Hagopian,
die aus unterschiedlichen Blickwinkeln aufgenommen worden waren und die
Beweisstücke sowie den Tatort in drastischer Deutlichkeit zeigten.
Beide Männer studierten die Bilder aufmerksam. Das Foto von dem blauen
Insekt, auf dem auch der Blutfleck an Hagopians Hosenbein zu sehen war,
schob Janak beiseite. »Damit befassen wir uns später.«
Er legte ein anderes Foto vor Samuel auf den Tisch. »Das ist
ein Knoten, wie er bei den Vaqueros, den mexikanischen Cowboys in der
Gegend um San Juan de los Lagos, gebräuchlich ist, wo meine Mandanten
herkommen, so viel steht fest. Allerdings handelt es sich dabei nicht
um einen Henkersknoten. Und jetzt sieh dir mal dieses Foto vom Hals des
Toten an. Siehst du die Abschürfungen, die das Seil hervorgerufen hat?
Sie stammen von einem völlig anderen Seil.«
»Woher weißt du das?«, fragte Samuel.
»Siehst du die tiefen Einkerbungen in der Haut des Toten,
unmittelbar über dem Hemdkragen? Siehst du die Spuren an seinem Hals?
Sie stammen auf keinen Fall von diesem Seil. Das heißt, er wurde mit
einem anderen Seil und vermutlich auch an einem anderen Ort getötet und
erst danach, als er schon tot war, zur Deponie gebracht und am Tor
aufgehängt. Die Leute, die den Mord meinen Mandanten anhängen wollen,
sind entweder blutige Anfänger, oder
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