Gift
erscheinen, die einer Vorverurteilung von Mr. Marachaks
Mandanten gleichkommen. Und dagegen müssen wir dringend etwas
unternehmen.«
Die Nichte gestikulierte theatralisch, als sie für Mr. Song
übersetzte. Der alte Chinese sagte zwar die ganze Zeit kein einziges
Wort, aber Samuel konnte sehen, dass er aufmerksam zuhörte, weil er
immer wieder zu den Ausführungen des Mädchens nickte.
»Mein ehrenwerter Onkel sagt, er fühlt sich außerordentlich
geehrt, dass Sie ihn in einer Angelegenheit um Rat fragen, dienichts mit Chinatown oder San Francisco zu tun hat. Wieso
glauben Sie, er könnte Ihnen bei einem Mord helfen, der so weit weg von
hier passiert ist?«
»Sag Mr. Song, dass ich weiß, dass er in der ganzen Bay Area
hohes Ansehen genießt. Deshalb habe ich ihn aufgesucht.«
»Er ist, wie ich, genauestens über den Fall im Bild. Und er
kennt auch sämtliche Artikel, die in den Zeitungen von Contra Costa
County zu diesem Thema erschienen sind.«
»Wie ist er auf den Fall aufmerksam geworden?«
»Genau wie ich. Er hat in der chinesischen Presse darüber
gelesen.«
»Kennt er in Contra Costa County jemanden, der uns helfen
könnte, diese schlechte Publicity zu unterbinden?«
»Ja. Und er weiß sogar, was Sie dagegen tun können.«
»Das soll wohl ein Witz sein.«
»Nein. Mein ehrenwerter Onkel macht nie Witze, Mr. Hamilton.
Er ist ein weiser alter Mann, der so etwas nicht nötig hat.«
Mr. Song verschwand hinter dem blauen Perlenvorhang, und
Samuel blieb mit dem Mädchen allein im Laden. Nach mehreren Minuten,
die Samuel wie eine Ewigkeit erschienen, kam der alte Chinese mit
undurchschaubarer Miene wieder zurück.
Das Mädchen dolmetschte: »Mein ehrenwerter Onkel hat einen
Plan, wie Sie Ihren Widersacher von der Staatsanwaltschaft in Verruf
bringen können. Er hat bereits mit einer Frau in Martínez telefoniert
und ihr von Ihnen erzählt. Sie erwartet Ihren Besuch.«
»Dein Onkel überrascht mich immer wieder von neuem«, sagte
Samuel erstaunt.
»Mr. Song weiß viele Dinge. Er sagt, die Frau wird Ihnen
erklären, wie sein Plan aussieht. Viel Glück, Mr. Hamilton.«
»Was bin ich deinem Onkel schuldig?«
»Aber nicht doch. Er sagt, Sie sind nur dann sein Kunde, wenn
es um Kräuter geht. Informationen sind kostenlos. Außerdem ist er Ihnen
sehr dankbar, dass Sie diesen fürchterlichen Mr. Perkins und seine
Leute von seinem Laden ferngehalten haben.«
Samuel war überrascht, dass Perkins, der Assistant U.S.
Attorney, der sich in die Ermittlungen zu den Chinatown-Morden
eingeschaltet hatte, über die Samuel im vergangenen Jahr in einer
Artikelserie mit dem Titel ›Die chinesischen Töpfe‹ berichtet hatte,
einen so schlechten Eindruck bei Mr. Song hinterlassen hatte. Perkins
hatte mehrere Töpfe aus dem Laden des alten Chinesen konfisziert, was
dieser als schwere persönliche Beleidigung empfand, weil es ihn das
Vertrauen seiner Kunden hätte kosten können. Der Laden war wie eine
Bank, bei der die Kunden in den Tontöpfen ihre wertvollsten Besitztümer
deponierten. Wenn die Beschlagnahme bekannt geworden wäre, hätte das
Mr. Songs Ruf ruinieren können.
Samuel notierte sich Namen und Adresse der Frau, die Song ihm
empfohlen hatte, verabschiedete sich und verließ lächelnd den
Kräuterladen. Er hatte Mr. Song zwar nur auf gut Glück aufgesucht, aber
im Nachhinein stellte sich heraus, dass er mit seiner Ahnung absolut
richtiglag. Oder hatte ihn Mr. Song etwa auf telepathischem Weg zu sich
gerufen? Bei dem alten Chinesen war alles möglich.
Samuel packte seine Zeitungsausschnitte
zusammen und fuhr mit Marcel, dem Fotografen, nach Martínez. Die
Adresse, die Mr. Song ihm genannt hatte, befand sich nur drei Straßen
vom Gericht entfernt in einer Seitenstraße der Main Street. Das
heruntergekommene alte Holzhaus mit dem windschiefen Vordach sah aus,
als wäre es direkt einer verlassenen Geisterstadt entsprungen. Auf dem
Fenster, das sich links von der verglasten Eingangstür befand, stand in
großen weiß umrandeten Buchstaben Ming's Laundry, auf dem rechten
waren, in kleinerer Schrift, die Preise aufgelistet. Samuel lächelte in
sich hinein, als der Fotograf mit seinem Ford am Straßenrand anhielt.
»Was ist so komisch?«, fragte Marcel.
»Jetzt wird mir alles klar«, sagte Samuel.
»Was wird dir klar?«
»Was Mr. Song meinte, als er einmal zu mir gesagt hat: Kein
Abholschein, keine Wäsche.«
»Was redest du da eigentlich?«
»Ach, nichts. Nur ein Insiderwitz. Warte hier draußen. Ich
rufe
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