Gift
wird er das. Aber darüber werde ich mir Gedanken
machen, wenn es so weit ist. Immer schön ein Schritt nach dem anderen.«
»Genau das ist der Grund, weshalb ich mit dir reden wollte«,
sagte Samuel und erzählte Janak von dem Brief, den er aus Paris
erhalten hatte, ohne ihm jedoch zu verraten, dass Lucine der Absender
war.
Janak hörte ihm schweigend zu.
»Und? Was hältst du davon?«, fragte Samuel, als er mit seinen
Ausführungen geendet hatte.
»Das ist etwas, dem wir zusammen mit Bernardi nachgehen
sollten. Aber solange der Fall, an dem ich gerade arbeite, nicht unter
Dach und Fach ist, habe ich keine Zeit, mich um andere Dinge zu
kümmern, wenn du verstehst, was ich meine.«
»Du willst damit sagen, dass du nicht unbegrenzt ohne
Bezahlung arbeiten kannst. Übrigens werde ich mich heute sowieso noch
mit Bernardi treffen, ich habe nämlich wichtige Informationen für ihn.«
»Kannst du ihn bei dieser Gelegenheit vielleicht ein bisschen
aushorchen, wie es im Moment für Miguel und José aussieht?«
»Kann ich gern machen. Allerdings brauchte ich dafür auch
deine Hilfe. Könntest du Vanessa fragen, ob sie mir heute Nachmittag
ihr Auto leiht?«
»Du kennst sie doch inzwischen gut genug, um sie selbst zu
fragen.« Janak stand auf, klopfte Samuel zum Zeichen, dass er im Moment
Wichtigeres zu tun hatte, auf die Schulter und begleitete ihn zur Tür.
Nachdem er wieder an seinen Schreibtisch zurückgekehrt war und
sich gesetzt hatte, versuchte er, sich zu entspannen. Denn so würde er
am ehesten eine Lösung für das Problem finden, mit dem er sich gerade
herumschlug: Wie war die Explosion ausgelöst worden, bei der seine
Mandanten verletzt worden waren? Er wusste, es hätte keinen Sinn, zu
versuchen, mit Gewalt auf die Lösung zu kommen. Er hatte die Fakten
bereits auf denkbar beste Weise in einen rationalen Zusammenhang
gebracht und dabei auch Möglichkeiten berücksichtigt, an die sonst
niemand dachte. Aber für das letzte entscheidende Argument, das ihm
helfen würde, den Prozess zu gewinnen, fehlte ihm noch der zündende
Einfall.
»Vanessa, darf ich Sie um einen Gefallen bitten?« Samuel blieb
vor dem Schreibtisch von Janaks Sekretärin stehen.
»Aber selbstverständlich. Wenn es mir möglich ist, gern.«
Vanessa sah ihn lächelnd an.
»Könnten Sie mir heute Nachmittag für ein paar Stunden Ihr
Auto leihen?«
»Wenn ich es bis drei Uhr wieder zurückbekomme. Dann habe ich
nämlich einen Termin.«
»Bis dahin schaffe ich es unmöglich wieder zurück«, sagte
Samuel zähneknirschend. »Ich treffe mich nämlich erst um zwei mit
Bernardi.«
»Augenblick.« Vanessa verschwand in Janaks Büro.
Als sie zurückkam, sagte sie: »Geht in Ordnung. Ich bringe Sie
jetzt gleich bei Bernardi vorbei, aber zurück müssen Sie den Bus
nehmen. Tut mir leid, aber mehr kann ich nicht für Sie tun.«
Als Vanessa mit Samuel über den Highway 101
nach Richmond fuhr, saß er die ganze Zeit stumm auf dem Beifahrersitz
und starrte geistesabwesend aus dem Fenster.
»Einen Córdoba für Ihre Gedanken«, sagte Vanessa schließlich,
um das Schweigen zu brechen.
Samuel schreckte auf. »Was ist ein Córdoba?«
»Die Währung meines Heimatlandes.«
Er errötete und wandte sich ihr zu. »Entschuldigung. Ich war
gerade ganz woanders.«
»Was beschäftigt Sie denn so sehr?«, fragte Vanessa lächelnd.
»Ich kann mir nicht vorstellen, dass Sie das wirklich
interessiert.«
»Nur raus damit, Samuel.«
»Also gut, die Sache ist folgende: Um mit meinen Recherchen
voranzukommen, brauchte ich einen Kontakt in Stockton.«
»Da kann ich Ihnen vielleicht helfen. Mein Vater ist Diakon
einer Kirche in Stockton.«
»Ihr Vater ist Geistlicher?«
»Nein. Er ist ein Laie, der dem Pfarrer hilft.«
»Wenn ich Sie mir so ansehe, hätte es mich auch sehr
gewundert, wenn Ihr Vater Geistlicher wäre«, sagte Samuel lachend. »Was
macht er als Diakon?«
»Er betreut vor allem die mexikanischen Landarbeiter. Von
denen gibt es in seiner Gemeinde nämlich ziemlich viele.«
Inzwischen hatten sie den grauen Bau mit der Funkantenne auf
dem Dach erreicht, in dem sich das Richmond Police Department befand.
Samuel bedankte sich bei Vanessa und stieg aus.
10
DER KÄFER
A ls Samuel die Polizeistation betrat, wurde
er bereits von Detective Lieutenant Bruno Bernardi erwartet. Der
Detective führte ihn in sein Büro und deutete auf einen Stuhl vor dem
Schreibtisch. Er selbst nahm hinter dem Schreibtisch Platz, auf dem ein
Foto seines hundertjährigen
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