Gifthauch

nahm ein Foto in die Hand, das zehn Menschen zeigte. Sie saßen an Tischen, die Toreanno als Ground Zero im Boulevard Café erkannte. Ihre Gesichter spiegelten unterschiedliche Ausdrücke wider, aber sie schienen allesamt in guter Stimmung zu sein und die Gesellschaft zu genießen. Dort war William Harrington; er saß Rebecca Harrington gegenüber. Simmons saß neben Rebecca – sie waren Freunde, aber vielleicht hatten sie noch kein Verhältnis. Einen großen, kauzig wirkenden Mann erkannte sie als den Linguisten Brad Beales.
    Sie legte das Foto vorsichtig wieder dorthin, wo es gestanden hatte, und ihre Stimmung sank. So viel Vernichtung und Tod. So sinnlos.
    Toreanno schaute auf die Uhr, rief rasch in der Außenstelle an und fragte nach Neuigkeiten. Man sagte ihr, dass sich alles im Greektown Casino befinde und Church und Stillwater der Schlange vielleicht um einen Schritt voraus seien. Bislang habe es keine weiteren Todesopfer gegeben.
    Sie fuhr den Computer hoch, stellte fest, dass er nach keinem Passwort fragte, und begann, Simmons' Dateien durchzusehen. Sie fand die gleichen Szenarien, nach denen Derek Stillwater gesucht hatte. Geduldig arbeitete sie sich vor, kam zu Szenarium 27 und las es durch. Gute Arbeit, Stillwater und Jill, dachte sie. Mehrere hundert Spieler verdanken euch ihr Lehen.
    Sie druckte das Szenarium aus und beschloss, den Computer mitzunehmen. Er war triftiges Beweismaterial, das vor Gericht nützlich sein würde, falls sie die Schlange jemals fassten.
    Ehe sie den Rechner herunterfuhr, druckte sie Simmons' Kontaktliste aus und verglich sie mit den Namen der Autoren von Szenarium 27. Die Arbeitsgruppe des CBCTR schien aus zehn Personen zu bestehen, doch als sie einige andere Szenarien überflog, stellte sie fest, dass die Mitglieder der Arbeitsgruppe regelmäßig wechselten. Einige Namen gehörten zu Doktoranden aus verschiedenen Abteilungen, andere waren Lehrkräfte aus unterschiedlichen Fakultäten. Auf jedem Szenarium, das sie sich ansah, standen Harringtons und Simmons' Namen, wahrscheinlich in ihrer Eigenschaft als Direktor und stellvertretender Direktor des CBCTR.
    Stirnrunzelnd nahm sie ihr Notebook heraus, klickte Szenarium 1 an und überprüfte die Namen. Sie begann bei einer Liste aller Personen, die je in der Arbeitsgruppe mitgewirkt hatten. Es schienen immer zehn zu sein. Sie sah, dass Agent Frank McMillan als Fachberater aus den Reihen des FBI genannt wurde. Außerdem las sie die Namen von Kontaktpersonen bei der Detroiter Polizei und Feuerwehr, der Michiganer Staatspolizei, dem Gesundheitsamt von Michigan und diversen Notfallrettungsdiensten und Wachschutzfirmen, die allerdings nicht der Arbeitsgruppe angehörten, sondern Personen waren, die die Arbeitsgruppe mit ihrem Fachwissen berieten, offenbar Fragen beantworteten und Informationen lieferten, wie ihre jeweilige Organisation sich unter vorgegebenen Umständen verhalten würde.
    Sie empfand ein Gefühl des Verlusts wegen Franks Tod. Sie waren mehr als Freunde gewesen, es hätte sich etwas zwischen ihnen entwickeln können …
    Wir kriegen ihn, Frank. Verlass dich darauf, ich versprech's.
    Sie wischte eine Träne fort, dann fertigte Toreanno eine Liste sämtlicher Personen an, die an der Arbeitsgruppe mitgewirkt hatten, und verglich sie mit jedem Szenarium. Diese Liste würde helfen, die Schlange zu fassen. Da war Toreanno ganz sicher. Sie würden William Harrington eine Schlinge um den Hals legen. Es war nur eine Frage der Zeit.

64
    16.16 Uhr
    Als Derek an Calloway vorbeihumpelte, trat der FBI-Beamte ihm die Krücke weg. Fluchend ging Derek zu Boden.
    Calloway beugte sich über ihn. »Und wenn Sie sich auf den Kopf stellen, Derek, ich lasse Sie ohne Anzug hier nicht rein. Übrigens bezweifle ich, dass Sie mich ohne Krücke bei einem Kampf schlagen könnten, also denken Sie gar nicht erst darüber nach.«
    Derek sah ihn wütend an, dann lachte er plötzlich auf. »Verdammt noch mal, Andy. Dann helfen Sie mir wenigstens hoch.«
    Calloway schüttelte den Kopf. »Versprechen Sie mir, dass Sie keinen Mist mehr machen. Hier drin geht alles nach Vorschrift. Wenn der Kerl gern Fallen stellt, dann macht es ihm vielleicht viel mehr Spaß, nicht die Spieler zu erwischen, sondern die Agents und Feuerwehrleute, die nach dem angeblichen Fehlalarm reingehen. Sie kennen diese Sorte.«
    »Ich versprech's.«
    »Genau nach Vorschrift, Derek.«
    »Ich sagte doch, ich versprech's.«
    Calloway half Derek auf, gab ihm die Krücke zurück und