Gifthauch
Tisch stand ein offener Karton mit Schoko-Frühstücksflocken.
Sie gingen von der Küche ins Wohnzimmer. Der Raum war klein und vollgestopft, das Mobiliar abgenutzt und altmodisch, als hätte Kevin Matsumoto entweder nicht mehr benötigte Möbel von seinen Eltern übernommen oder alles auf dem Sperrmüll eingesammelt. Das einzig Neue im Zimmer war der Fernseher, ein an der Wand befestigter Plasma-Flachbildschirm. Am Boden häuften sich unordentlich noch mehr Zeitungen. Der Teppich wirkte alt und speckig und war voller Staubflocken, als wäre er noch nie gesaugt worden. Neben einem alten Sessel stapelten sich Bücher über Chemie und andere Themen sowie Fachzeitschriften. Derek bückte sich nach einem dieser Bücher und zeigte es Jill. Es hieß The Anarchist Cookbook .
»Passt. Ich wünschte, das Ding wäre nie veröffentlicht worden«, sagte Jill.
Derek musterte den Raum. Mehrere Fotos an einer Wand erweckten seine Aufmerksamkeit. Er trat näher. »Scheiße.«
Jill gesellte sich zu ihm. »Der kommt mir bekannt vor.« Sie wies auf das Bild eines rundgesichtigen Asiaten mit einem Fu-Man-Chu-Schnurrbart, dürrem schwarzen Kinnbart und einer langen, pechschwarzen Haarmähne.
»Scheiße«, wiederholte Derek. »Das ist Shoko Asahara.«
»Wer?«
»Der Kopf der Omu Shinrikyo. Nach dem Giftgasanschlag wurde er verhaftet, angeklagt und für schuldig befunden. Man verurteilte ihn zum Tod durch Erhängen, aber bisher ist das Urteil noch nicht vollstreckt worden. Oh verdammt. Ich hatte völlig vergessen …«
Jill wandte sich ihm zu. »Was ist?«
»Shoko Asahara ist der Name, den er angenommen hat, nachdem er die Aum-Sekte ins Leben rief. Sein Geburtsname war Chizuo Matsumoto.«
»Sie meinen doch nicht …«
»Ich glaube, Asahara hatte fünf oder sechs Kinder mit seiner Frau. Nachdem Asahara und seine Frau verurteilt worden waren, lebten die Kinder mit verbleibenden Mitgliedern der Sekte zusammen, die sich dann Aleph zu nennen begann. Asahara hatte viele Gefolgsleute in vielen Ländern.«
»Also könnte Kevin sein Sohn sein.«
»Oder sich dafür halten.«
Jill schluckte. »Suchen wir weiter.«
Es gab zwei weitere Zimmer. Eines war eindeutig ein Schlafzimmer. Schmutzige Kleidung quoll aus einem Wäschekorb. Der Raum stank nach Schweiß und Schimmel.
Derek steckte den Kopf ins Badezimmer. Er schnüffelte. »Ein Chemielabor«, stellte er fest. »Riechen Sie es?«
»Ich rieche etwas.«
Es war ein kleiner, enger Raum. Die Badewanne sah aus, als wäre sie noch nie gereinigt worden. Ein mit grauem Schimmel besetzter Duschvorhang war auf die Seite gezogen worden, und am Boden lagen feuchte Handtücher wie zusammengeringelte Schlangen. Derek entdeckte einen Wandschrank. Mit langsamen, vorsichtigen Bewegungen trat er in das Bad und drehte den Türknauf des Schranks. Er ließ sich ohne Widerstand öffnen. Im Schrank befanden sich vier Regalböden. Auf zweien lagen Seife, Rasierapparat, Deo und die anderen typischen Gegenstände, die man im Badezimmer eines alleinstehenden Mannes findet. Die unteren beiden Regalböden hingegen beherbergten Chemikalienflaschen und Laborgeräte aus Pyrexglas – Bechergläser und Erlenmeyerkolben in unterschiedlichen Größen. Derek las die Etiketten der Chemikalienflaschen. »DMMP«, sagte er laut.
»Was?«, fragte Jill.
»Dimethylmethylphosphonat. Eine der vier Chemikalien, die man braucht, um Sarin herzustellen.«
»Vier reichen?«
»Ja, ist Chemie nicht etwas Wunderbares? Er ist unser Mann.«
Er wich langsam aus dem Bad zurück und blickte durch den Flur zu dem zweiten Zimmer hinüber. Die Tür war geschlossen.
»Mir gefällt überhaupt nicht, dass diese Tür da zu ist«, bemerkte Derek.
Jill nickte. Das Herz hämmerte ihr in der Brust. »Vorschläge?«
Er seufzte. »Nein. Wir sind hier auf jeden Fall richtig. Wir müssen herausfinden, was er als Nächstes geplant hat.« Er hielt den Atropin-Pen hoch, den er mitgenommen hatte. »Wer im Flur bleibt, bekommt das. Ich schlage vor, ich gehe als Erster hinein.«
Sie sahen einander in die Augen. Jill sagte: »Bomben mag er auch.«
»Ein echter Renaissancemensch, unser Kevin. Hier. Nehmen Sie ihn.«
Jill nahm den Pen entgegen.
Derek musterte die Tür. Sie verriet nichts. »Treten Sie zurück.«
Nachdem sich Jill über den kurzen Korridor zurückgezogen hatte, umfasste er mit zitternder Hand den Knauf. Während er ihn langsam drehte, achtete er auf den leisesten Widerstand. Er spürte nichts.
Sobald er ihn vollkommen gedreht
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