Gifthauch
wo er mit ihr reden und sie davon überzeugen konnte, dass er noch bei Ray war. Er nahm an, dass sie mit der Schlange alle Hände voll zu tun hatte und so schnell nicht nach Hause kam, und das war gut so. Das Konzert heute Abend hatte sie ihm nicht endgültig verboten, aber er wusste, dass sie es getan haben würde, wenn sie nicht so rasch in die Stadt gemusst hätte.
»Rufst du deine Mami an?«, fragte Ray und kippte einen großen Schluck Bier hinunter.
Michael zeigte Ray den Mittelfinger und wartete, dass das Handy hochfuhr. Fast augenblicklich klimperte es die Melodie, die anzeigte, dass er eine Nachricht hatte. Verdammt.
»He, kauf mir ein XL von dem da«, sagte Michael und zeigte auf ein schwarzes T-Shirt mit dem großen, verzerrten Gesicht von J Slim vorn und Tourneedaten hinten.
»Willst du das nicht?« Ray zeigte auf den klassischen J Slim mit zwei erhobenen Mittelfingern.
Michael klopfte sich an die Brust. »Hab ich schon. Hier.« Er drückte Ray das Geld in die Hand. »Ich muss das abhören. Halt mal mein Bier.«
»Na klar, Mann. Aber wenn du dich nicht beeilst, ist es weg.«
Michael ging rasch von den Ständen fort und suchte nach einer Tür nach draußen. In der Arena war es verdammt laut. Er vergewisserte sich, dass er sowohl Eintrittskarte als auch Handstempel hatte, und trat durch die Türen auf den Gehsteig vor dem Westeingang. Draußen war es kühl; Wind blies aus Nordwesten. Die Luft roch schlecht. Das Palace lag südöstlich einer Mülldeponie, und wenn der Wind aus der Richtung kam, merkte man es deutlich.
Hier erhielt er ein gutes, starkes Signal und wählte sich ein, um die Nachricht abzurufen. Ihm sank der Kiefer hinab, als er hörte, wie seine Mutter ihn aufforderte, das Palace zu verlassen – weil die Schlange dort einen Anschlag plane. Mit pochendem Herzen drückte er die Schnellwahltaste für das Handy seiner Mutter. Einen Augenblick lang ergriff ihn wilde Panik. Er wollte weglaufen. Er wollte das Handy fallen lassen und zu seinem Auto sprinten und sich so weit wie möglich von der Arena entfernen.
Er biss sich auf die Lippe und wurde wieder ruhiger. Also, was nun? Was sollte er tun?
83
19.25 Uhr
Jill und Derek rasten auf der I-75 nach Norden, erreichten auf der linken Spur 140 Stundenkilometer, hielten das Tempo, solange es möglich war. Der Verkehr floss zügig, bis sie an der Crooks Road vorbei waren. Ab da wurde er zäher und dichter. Immer wieder mussten sie auf 40 abbremsen, fuhren anderthalb Kilometer in diesem Tempo und konnten dann ohne ersichtlichen Grund wieder auf 110, 120, 130 beschleunigen.
Jills Handy klingelte. Sie klappte es auf und drückte den Annahmeknopf. »Jill Church.«
»Mom? Hier ist Michael!«
»Ach, Gott sei Dank! Bist du im Palace? Wenn ja, dann –«
»Mom, ist er wirklich hier?«
»Ja, wir glauben, dass er für acht Uhr etwas Großes plant. Hör zu, Michael, du und Ray, ihr müsst verschwinden. Sofort. Wir sind unterwegs zu euch.«
»Aber was ist mit den ganzen Leuten hier? Es wird nicht evakuiert und gar nichts. Die Show ist ausverkauft!«
»Michael, hör zu, wenn –«
»Hast du es denn nicht gemeldet? Was ist los?«
»Michael …«
»Sagen Sie es ihm«, forderte Derek sie auf. »Es wird Zeit.«
Jill hätte ihm am liebsten eine Ohrfeige verpasst. »Michael, hör mir genau zu.« Der hysterische Unterton, der sich in ihre Stimme geschlichen hatte, gefiel ihr ganz und gar nicht. »Hör mir bitte nur zu. Du und Ray, ihr müsst gehen.«
»Wer ist dieser Kerl?«
Jill umklammerte das Handy. Plötzlich flammten vor ihr Bremslichter auf; die Wagen weiter vorn hielten unvermittelt an. »Scheiße!« Sie ließ das Handy fallen und trat auf die Bremse. Der Wagen ruckte, und die Reifen quietschten, aber sie kamen noch rechtzeitig zum Stehen.
»Wo ist das Handy?«
»Sie fahren«, befahl Derek. »Sie bringen uns beide noch um. Ich spreche mit ihm.«
Derek hob das Handy vom Boden auf und sagte: »Michael, hier Derek Stillwater.«
»Dr. Stillwater! Ist das wirklich ernst gemeint?«
»Ja, sehr ernst. Tu, was deine Mutter sagt. Schnapp dir deinen Freund und verschwinde mit ihm.«
»Aber was ist mit –«
»Michael? Oder Mike?«
»Egal. Dr. Stillwater –«
»Derek.«
»Okay. Derek. Ich kann die vielen Leute doch nicht im Stich lassen.«
Derek sah auf die Uhr am Armaturenbrett. Ihnen blieb keine halbe Stunde mehr. Der Verkehr war dichter geworden und kam kaum noch voran. Jill umklammerte das Steuerrad so fest, dass die Knöchel ihrer
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