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Giftpilz

Giftpilz

Titel: Giftpilz Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Stefan Alexander; Ummenhofer Rieckhoff
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sich über alte Schwarzwälder und Elsässer Rezepte austauschten. Der
Küchenchef versicherte Winterhalter einigermaßen glaubhaft, die Pilze stammten
von der Firma »Schwarzwaldfrisch – Pilze und mehr« aus Altglashütten im
Südschwarzwald. Reste der Lieferung seien nicht mehr vorhanden.
    »Leider, sonst würde isch die kompletten Pilz dem Chef dort in den
Rachen stopfen«, grollte der Küchenchef. Beim Verarbeiten zur Pilzcremesuppe sei
weder ihm noch den Mitarbeitern aufgefallen, dass Giftexemplare unter den angelieferten
Pilzen gewesen sein könnten. Er werde Schadenersatz fordern, immerhin sei sein
guter Ruf beschädigt worden – und der der gesamten Klinik.
    »Vorgestern herrschte ja wohl die gleiche Hektik wie jetzt gerade.
Hatten Sie da wirklich Zeit, die Pilze genau zu überprüfen?«, erkundigte sich
Thomsen, der mittlerweile seinen kleinen Rundgang beendet hatte. Zwar hatten
die Lagerräume seinen Hygieneanforderungen keineswegs entsprochen. Nahm man
aber die laxen Durchschnittserwartungen des Wirtschaftskontrolldienstes zum
Maßstab, musste man das wohl durchgehen lassen. Auf Pilzreste in der Küche war
er wie schon am Vorabend nicht gestoßen.
    »Wir sind ja keine Pilzexperten«, antwortete ein anderer Koch. Man
müsse sich ja schließlich auf den Lieferanten verlassen können.
    »Wer hat denn alles Zutritt zur Küche und zu der Speisekammer?«,
fragte Thomsen.
    Der Küchenchef zuckte mit den Schultern. »Dies ist kein
Sperrgebiet.«
    »Also jeder«, folgerte Thomsen.
    »Ha, Chef, wenn en weiße Tiger reinkomme dät, würd mer des wohl scho
merke’«, meinte Winterhalter.
    »Tiger?«
    Der Küchenchef, der sich übrigens »Maître« nennen ließ, betonte, es
komme ganz darauf an, zu welcher Uhrzeit jemand hereinkomme. Zwischen zehn und
zwölf Uhr, wenn das Mittagessen zubereitet werde, würde seiner Meinung nach vermutlich
nicht einmal ein weißer Tiger auffallen. Zumal die Pilzsuppe in der hinteren
Ecke der Küche zubereitet worden sei.
    Und was die Speisekammer betreffe: Diese befinde sich auf der
gegenüberliegenden Seite des Ganges, stehe also unter gar keiner Beobachtung.
    »Und die Pilze waren zunächst in der Vorratskammer?«
    Der Maître nickte grimmig. »Nach der Anlieferung etwa zwei Stunden,
dann kamen sie in die Küche.«
    Altmanns Laune sollte noch weiter in den Keller gehen. Er
erlebte nämlich den vorläufigen Tiefpunkt seiner Karriere als Küchenchef der
Tannenklinik. Zwei Drittel der Patienten verzichteten heute auf ihre
Mittagsportion. Dafür verzeichneten die Cafés, Gasthöfe und der Kebabstand in
Königsfeld beachtliche Umsätze.

16. DER EINDRINGLING
    Riesle hatte für seine Geschichte in der Redaktionskonferenz
reichlich Lob geerntet und versprochen, an der Sache dranzubleiben. Nach den
ersten Protestanrufen aus Königsfeld relativierte sich allerdings das Lob, und
noch später wurde Riesle zum Chef zitiert, weil der kaufmännische Direktor der
Tannenklinik rechtliche Schritte gegen den Kurier angekündigt hatte. Daraufhin
waren Chefredaktion und Verlagsleitung der erbosten Klinikspitze in gewohnter
Manier entgegengekommen: Als Kompensation würde es in einer der nächsten Wochenendbeilagen
eine ganzseitige und bildreiche Beschreibung der Tannenklinik geben, die nicht
von Riesle, sondern von einem besonders anzeigenkundenfreundlichen Kollegen
gestaltet werden würde. Außerdem wurde versprochen, in der etwaigen weiteren
Berichterstattung über den Todesfall »mehr auf die Bedürfnisse der Klinik
einzugehen«, wie sich der Chefredakteur ausgedrückt hatte. Ob Riesle dafür noch
in Frage käme, ließ er offen.
    Der hatte sich die Standpauke stoisch angehört und seine
anfänglichen Proteste schnell aufgegeben. Es war ein immer wiederkehrendes
Ritual, das jeder gute und investigative Journalist über sich ergehen lassen
musste, dachte Riesle. Der ewige Kampf zwischen den Anzeigenkunden, die nur
Positives über ihr Unternehmen lesen wollten, und der redaktionellen Wahrheit,
die darauf keine Rücksicht nehmen konnte. Er würde dennoch an der Geschichte
dranbleiben, auch wenn der Chef fortan Riesles Texte erst sehen wollte, ehe sie
den Weg ins Blatt fanden.
    Als Riesle gegen halb fünf nach Hause kam, war er mit sich
im Reinen. Eigentlich hatte ihm das Gespräch mit dem Chefredakteur sogar
geschmeichelt. Er war nun mal jemand, der sich nicht korrumpieren ließ. Und wie
er den misslichen Umständen der letzten Wochen und Monate ohne Funkgerät getrotzt
hatte – Chapeau, Riesle. Er

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