Giftpilz
nicht mehr in die Tannenklinik
zurückzukehren. Gut, er musste natürlich noch seine Sachen abholen. Aber war
man denn vor dem Erpresser nicht am sichersten, wenn man sich gar nicht mehr in
seinem Einflussbereich aufhielt? Andererseits: Konnte man wirklich so genau
sagen, wo dessen Einflussbereich endete? Zumindest würde er andernorts wohl
nicht vergiftet werden.
Letztlich hatten die Tage in Königsfeld für mehr Aufregung als
Entspannung gesorgt. Da schien es sinnvoller, einfach zu Hause das Private zu
regeln und sich dann ein paar Wochen dort zu entspannen. Sein Gewicht musste er
eben durch regelmäßige Spaziergänge im Schwarzwald reduzieren – im Zweifelsfall
wirklich am frühen Morgen.
Das konnte er sich gut vorstellen – notfalls würde er sich sogar
Nordic-Walking-Stöcke besorgen.
Und was die Essgewohnheiten betraf: Er war inzwischen richtiggehend
karottenabhängig. Das war doch schon mal eine gesunde Basis!
Klaus hatte allerdings andere Pläne mit ihm: »Huby, du musst ein
bisschen in der Umgebung dieses Tannenklinik-Chefarztes rumschnüffeln«, sagte
er bestimmt. »Wir werden den Fall klären – und dann werden wir doch mal sehen,
wer darüber im Kurier berichten wird!«
29. KUPPLUNGSPROBLEME
So früh Winterhalter stets zum Dienst erschien, so zeitig
läutete er im Normalfall auch seinen Feierabend ein. Um siebzehn Uhr dreißig
gab es zu Hause Abendessen. Das mochte dem Stadtmenschen, der erst um zwanzig
Uhr zur Nahrungsaufnahme außer Haus ging, fremd sein, aber der Stadtmensch
musste ja auch nicht um fünf Uhr morgens aufstehen. Zudem war ein fester
Tagesablauf nötig, wenn man einen Bauernhof bewirtschaftete. Und wenn man eine
Frau hatte, die bei Unpünktlichkeit keinen Spaß verstand und der
Sekundärtugenden statt einer Rassel oder eines Schnullers in die Wiege gelegt
worden waren.
Gott sei Dank, dachte Winterhalter, als er sich brav auf der
hölzernen Kücheneckbank im Herrgottswinkel unter dem Kruzifix niederließ. Die
große Kuckucksuhr schlug einmal – es war genau halb.
Genau genommen war er nämlich sehr zufrieden mit seiner Frau. Eine
wie beispielsweise diese Elke Hummel, die ihren Gatten viele Jahre mit ihren
immer neuen Selbstverwirklichungsmanien aus der Bahn geworfen hatte, hätte ihn
wohl umgebracht. Zumindest aber die Tiere auf dem Bauernhof, denn solche Leute
waren meist nicht in der Lage, im Alltag zu bestehen. Das Leben bestand aber
nun mal aus Alltag – und weniger aus Beschwörungen altindischer Gottheiten,
Kursen in weiblichem Obertonsingen oder »total guten Gesprächen«. Winterhalter
zog jederzeit die gute Arbeit dem »total guten Gespräch« vor. »Nit schwätze,
schaffe«, lautete ein beliebter Spruch von ihm.
»Worüber grübelsch du denn?«, begann seine Frau ihre Art eines
»guten Gespräches« und reichte ihm das Holzbrett mit dem Speck aus hauseigener
Schlachtung. Winterhalter griff reichlich zu.
»De aktuelle Fall halt«, antwortete der Kommissar und richtete den
Blick auf seine Frau, die eine mit Stickereien versehene Küchenschürze umhatte.
Motiv Schwarzwaldfichte. Normalerweise redeten sie nicht viel. Und wenn, dann
fast nur über den Alltag auf dem Hof. Es gab schließlich genug zu tun. Doch
diesmal brannte ihm etwas auf den Nägeln: »Sag emol, du bisch doch so e
Käpsele, was d’ Pilz betrifft: Mir hän doch en Tote in de Tanneklinik, der d’
sechsfache Giftdosis vu de andere Klinikpatiente im Körper hät. Älle hän aber
vu deselbe Champignoncremesupp g’esse. Hätt’sch du e Idee, wie mer des erkläre
könnt?«
Frau Winterhalter reichte ihrem Mann nun das Käsebrett und meinte:
»Jo, falls du dabei g’wese wärsch …«
»Wieso?«
»Ha, du hätt’sch doch wohl d’sechsfache Menge vu ällene andere
g’esse … Des git doch dann au s’sechsfache Gift – oder nit?«
»Ha, jetzt schwätz au nit.« Winterhalter erläuterte, warum das wohl
auszuschließen sei. Vermutlich habe der Patient nur eine Portion gegessen, aber
dennoch die sechsfache Dosis Gift erhalten. Seine Frau kannte sich zwar mit
Pilzgerichten aus und konnte im Wald die giftigen von den ungiftigen Pilzen
unterscheiden, aber das machte noch längst keine Rechtsmedizinerin aus ihr.
Vielleicht sollten sie doch beide weiter strikt bei ihrer Zuständigkeit
bleiben. Er mischte sich nicht in den Haushalt ein, sie sich nicht in seine
Fälle. Gemeinsames Aufgabengebiet war nur die Landwirtschaft. Am Schluss endete
das sonst noch wie bei Familie Hummel, wenn man die traditionellen
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