Giftspur
Claudia Reitmeyer.«
»Auch nicht ganz. Er lässt sie zappeln, quält sie, und Sie verzeihen, wenn ich Ihnen noch einmal das Bild einer Katze vor Augen halte. Bis zu diesem Punkt könnte ich ihm eine Menge Attribute einer Katze zuschreiben, aber eine Sache sprengt jeden Rahmen.«
»Die beiden Toten?«
Leydt nickte und blinzelte.
»Ein Erpresser, der sich erst meldet, nachdem es zwei Todesopfer gibt?« Er lachte bitter. »Dazu brauche ich keine Zahlen. Das ist an Absurdität kaum zu überbieten. Weshalb sollte die erpresste Person denn eine Million Euro zahlen? Ihren Vater bekommt sie dadurch nicht zurück.«
»Das haben wir uns auch schon gefragt«, brummte Sabine. »Kann es sein, dass das Gift die beiden zu früh erreicht hat? Also ein, hm,
Unfall –
wenn man so will?«
»Bei einem Toten könnte man eventuell davon ausgehen. Aber würde das unseren Erpresser nicht unglaublich nachlässig machen? Die Intention hinter einer Erpressung ist doch das Spiel mit der Angst, das Erschaffen einer Bedrohung, welche ausschließlich durch das Erfüllen einer Forderung abgewendet werden kann.«
»Also eine sehr persönliche Angelegenheit«, schloss Sabine nachdenklich.
»In unserem Fall: ja. Adressatin ist Claudia Reitmeyer, und zwar ganz gezielt, denn hätte die E-Mail an den Betrieb gehen sollen, hätte Paracelsus nicht ihre Privatadresse verwendet. Er hat demnach gewusst, dass er Ulf Reitmeyer nicht mehr erreichen wird, oder hat das Ganze bewusst in Kauf genommen,
oder,
und darauf möchte ich hinaus, er hat es genau so geplant.«
Das klang einleuchtend, doch Sabine blieb skeptisch und fragte nach: »Die Erpressung ist ein Vertuschungsmanöver?«
»Es ist eine
Möglichkeit
«, begann Leydt, und sofort blockte sie ihn ab.
»Keine Zahlen, bitte. Verraten Sie mir lieber, wie Herr Kötting in diese Gleichung passt.«
»Überhaupt nicht«, gestand der Psychologe verbissen ein. »Das macht die ganze Angelegenheit ja so komplex.«
Sabine schritt nachdenklich auf und ab. Angenommen, sie klammerte Vera als Tatverdächtige einmal aus, und angenommen, es handelte sich nicht um einen kaltblütigen Erpresser, dem zwei Menschenleben völlig egal waren … Ihre Gedanken rasten. Schließlich kehrte sie zu ihrem Gesprächspartner zurück und brachte einen weiteren Denkansatz zur Sprache.
»Halten Sie es denn für möglich, dass die Erpressung von
innen
her kommt?«
»Dass jemand die Todesfälle nutzt, um Profit daraus zu schlagen?«
»Hm.«
»Laut Ihren Kollegen steht Frau Reitmeyer doch mit glänzender Bilanz da. Ich sehe nicht, was ihr das Ganze bringen sollte.«
»Sprechen wir einmal nicht nur von Claudia«, erwiderte Sabine und erkannte im Stillen, dass sie ihre Abneigung gegen diese Frau besser kontrollieren musste. Leydt hatte vollkommen recht, darauf hätte sie auch selbst kommen können. Aber trotzdem; die Theorie an sich blieb bestehen.
»Dann wäre das Geld aber wohl kaum der treibende Impuls«, setzte der Psychologe an, und Sabine neigte fragend den Kopf.
»Wie sollte ein vertrauter Mitarbeiter denn seinen plötzlichen Geldsegen rechtfertigen?«
»Er könnte die Kohle ja stillschweigend anlegen.«
»Um was zu tun? Weiterarbeiten, nine to five, als sei nichts geschehen? Nein. Jemand, der so habgierig ist, würde das nicht tun.«
»Jemand, der habgierig ist und den florierenden Betrieb kennt, würde sich auch nicht mit einer Million zufriedengeben.«
Verdammt.
Die Theorie hinkte plötzlich.
Doch dann fragte Leydt etwas, was Sabine Kaufmann stutzen ließ: »Was wäre denn, wenn jemand dem Weidenhof schlechte Presse machen wollte? Zwei Tote, vergiftete Milch, Etikettenschwindel … Wäre das nicht das Aus für einen Betrieb in dieser Branche?«
»Sie haben recht«, stieß Sabine hervor. »
Worst Case
auf ganzer Linie.«
Ein Bio-Super-
GAU
.
Etwa zur selben Zeit nahm Ralph Angersbach ein Telefongespräch entgegen, während er Claudia Reitmeyer beim Zubereiten eines Tees in der Küche zusah. Mirco Weitzel informierte ihn, hörbar erregt, darüber, dass er bei der Abonnentenliste einen Treffer gelandet habe. Und obwohl der Kommissar sich selten aus der Fassung bringen ließ – zumindest, wenn er sich nicht gerade im Dunstkreis seiner Halbschwester befand –, war er ziemlich perplex. Der verfeindete Nachbar hätte ihn als Täter wohl weniger verwundert, auch Gunnar Volz war in seinen Augen ein Kandidat gewesen. Gerade diesen undurchsichtigen Knecht hätte er nur allzu gerne ins Kreuzverhör genommen,
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