Giftspur
es nicht ihr zuliebe getan.«
»Sondern?« Ralph wusste, welche Frage seiner Kollegin auf der Zunge lag.
Sie haben dabei nur sich selbst zuliebe gehandelt, wie?
Doch obgleich er Sabine Kaufmann erst seit wenigen Tagen kannte, wusste er, dass sie nicht derart unprofessionell war, diesen Gedanken auch auszusprechen.
Claudia wurde unruhig. »Wir hatten uns als Familie zusammengefunden, mehr möchte ich dazu wirklich nicht sagen«, antwortete sie fahrig und schüttelte ihre Haare. »Nennen Sie es symbolisch. Aber was spielt das noch für eine Rolle?« Sie schluckte schwer, schien den Tränen nah. Dann flüsterte sie: »Ich bin ja nunmehr die Einzige, die übrig geblieben ist.«
»Nun ja«, wandte Sabine ein, »es gibt immerhin noch Philip Herzberg?«
Prompt zuckte Claudia zusammen. »Was wollen Sie damit sagen?«
»Wie ist denn Ihr Verhältnis zueinander? Würde Ihr biologischer Vater nicht vom Ableben seines Widersachers profitieren?«
Claudia gestikulierte wie ein aufgescheuchtes Huhn, als sie ein langgezogenes »Nein!« hervorstieß. Hastig winkte sie ab. »Um Gottes willen, nein. Phil kann keiner Fliege etwas zuleide tun.«
»Eifersucht kann gefährliche Kräfte freisetzen«, widersprach Sabine.
»Worauf soll er denn eifersüchtig sein?«, keuchte Claudia verzweifelt, und Ralph beobachtete, wie sich etwas seinen Weg nach außen bahnte. Es lag etwas Verräterisches in Claudias Gebaren, eine Furcht, vielleicht auch Loyalitätszwänge, etwas, gegen das sie offenbar ankämpfte.
»Sagen Sie uns die ganze Wahrheit, Frau Reitmeyer«, forderte er daher so ruhig und vertrauenerweckend, wie er konnte.
»Ich kann nicht. Ich habe es ihr versprochen«, wimmerte Claudia.
»Ihrer Mutter?«
»Hm.«
»Aber Ihre Mutter konnte die aktuellen Ereignisse nicht kommen sehen. Es gibt für jedes Versprechen Ausnahmen«, wagte Ralph einen weiteren Vorstoß. Sabine verharrte, Claudia vergrub den Kopf zwischen den Händen und summte leise vor sich hin. Schließlich, es war etwa eine Minute vergangen, flüsterte sie: »Philip
ist
nicht mein biologischer Vater.«
Dieses Bekenntnis verfehlte seine Wirkung nicht.
»Bitte?«, entfuhr es Sabine, die sich kerzengerade aufsetzte, als hätte eine Wespe sie gestochen.
Mit gedämpfter Stimme fuhr Claudia fort: »Als meine Mutter schwanger wurde, hatte sie bereits eine Affäre mit Ulf. In der Geburtsurkunde bin ich aber als Philips Tochter vermerkt. Von Ulfs Vaterschaft erfuhr ich erst an Mamas Sterbebett. Sie wollte das Geheimnis nicht mit ins Grab nehmen, aber ich musste ihr versprechen, es niemandem zu verraten.« Sie schluckte schwer und ließ ihren Tränen freien Lauf. Dann tupfte sie sich die Wangen ab und fuhr fort: »Mama hat gesagt, dass nun alles beisammen ist, so wie es gehöre. Diese Gewissheit ließ sie friedlich sterben. Und jetzt habe ich mein Versprechen gebrochen.« Sie wandte sich ab und blickte ins Leere.
»Danke für Ihre Offenheit«, nickte Angersbach. »Eine Frage muss ich Ihnen dazu allerdings noch stellen. Weiß Philip Herzberg davon?«
»Ich weiß es nicht«, antwortete Claudia schulterzuckend, »aber es dürfte auch keine große Rolle spielen. Seit der Adoption liegt unser Verhältnis auf Eis. Er hat es weder Mama noch mir verziehen, dass wir uns von ihm abgewandt haben. Ich wollte ihn oft anrufen, aber …« Sie stockte und weinte erneut, heftiges Zittern schüttelte sie durch wie einen Baum im Herbststurm.
Die Kommissare verständigten sich mit einem Nicken, es dabei bewenden zu lassen. Ralph Angersbach warf einen Blick auf seine krakeligen Notizen und suchte fieberhaft eine Stelle, die sich auf Herzberg und dessen Alibi bezog. Das Treffen eines Tierschutzvereins im Hintertaunus, Herzberg hatte sich als Protokollant betätigt, und schied somit von elf bis achtzehn Uhr, zuzüglich An- und Heimfahrt, aus.
Claudia Reitmeyer entschuldigte sich, schritt in Richtung Küche, schneuzte sich die Nase und zupfte sich die Kleidung zurecht. Dann kehrte sie zurück und kam auf ein völlig anderes Thema zu sprechen.
»Was ist denn nun mit der Million Euro?«, fragte sie kühl und geschäftig. »Dr. Brüning kann mir die Summe noch heute zur Verfügung stellen.«
Sabine übernahm die Antwort: »Sie möchten also zahlen?«
Claudia nickte stumm.
»Okay, dann sprechen wir das mit unseren Experten durch. Brüning soll das Geld bereithalten, und wir klären, welche Überwachungstechnik wir zum Einsatz kommen lassen.«
»Überwachungstechnik?« Claudia blinzelte
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