Giftspur
Angersbach ärgerte sich jedes Mal, wenn er den Erpresser so bezeichnete, denn er zog damit den Namen jenes großen Mediziners in den Schmutz – hatte keine Skrupel vor dem Töten. Warum benutzt der nicht gleich den Namen eines Giftmörders oder den eines Erpressers?
Staschynskij
oder
Johnny Acht,
oder eine Mixtur aus beidem, denn mit dem Mischen dürfte er sich ja auskennen. Höchste Zeit, ihn dingfest zu machen, und aus diesem Grund war Angersbach, einer Eingebung folgend, hier hinausgefahren.
Nachdem er im Büro den Telefonhörer zurückgelegt und sich damit gegen einen Austausch von Eisigkeiten mit Janine entschieden hatte, durchforstete der Kommissar einen Stapel Papiere, die ihm Mirco Weitzel auf den Tisch gelegt hatte. Darunter auch Unterlagen über den Weidenhof. Vor dem Krieg hatte das Anwesen beachtliche Ausmaße gehabt. Einige Hektar waren im Laufe der Generationen durch Erbteilung verschwunden, aber für ein Gestüt mit florierender Landwirtschaft hatte es stets genügt. In den fünfziger Jahren schließlich brach das Idyll auseinander. Der Besitzer war nicht aus dem Krieg wiedergekehrt, sein Bruder führte den Betrieb mehr schlecht als recht. Schließlich, als der einst so stolze Besitz sich zunehmend einer maroden Ruine anglich, wurde er zum 1 . März 1963 für einen geradezu lächerlichen Betrag auf Friedhelm Reitmeyer überschrieben. Ulf Reitmeyers Vater, wie mit Kugelschreiber neben den mit Textmarker hervorgehobenen Namen notiert war. So weit, so gut. Die Tatsache allerdings, dass der Vorbesitzer ein paar Tage später tot in der Maschinenhalle gebaumelt hatte, war Angersbach neu.
»Verdammt noch mal!«, entfuhr es ihm, als er den Namen des Mannes las, dessen Freitod seine hochschwangere Ehefrau zur Witwe machte. Seine Handfläche donnerte auf die Schreibtischplatte herab und brachte die Stifte zum Beben.
Ansgar Volz.
Im blauweißen Schein langer Leuchtstoffröhren, deren spezielles Farbspektrum den Pflanzenwuchs begünstigen sollte, schlüpfte Victor Elsass durch hochwachsende Pflanzenstengel, die das hintere Viertel des langgezogenen Gewächshauses einnahmen. Ein Experiment, das grandios gescheitert war: Mais, dessen Erntezeit im Winter liegen sollte, um einen höheren Fruchtertrag zu erzielen. Doch ohne genetische Optimierung mit Getreidesorten aus den Anden oder dem Himalaya blieb dieses Vorhaben ohne Erfolg. Ironie des Schicksals. Ulf Reitmeyer, der weder vor spanischem Gemüse noch vor Milchpanscherei haltmachte, hatte ausgerechnet der genetischen Modifikation von Nutzpflanzen vehement widersprochen.
Untersagt
hatte er es.
Pff!
Die Sache erschien ihm zu gefährlich. Ob er dabei das Risiko meinte, aufzufliegen, oder sich tatsächlich um den manipulativen Eingriff in die Natur sorgte, hatte er geflissentlich verschwiegen. Das Schlimmste allerdings war, dass es noch einige weitere Projekte gab, für die es keine Patentierung geben würde, solange Ulf den Daumen darauf hielt. Der Mais indes erfüllte dennoch einen Zweck, wie Elsass mit einem hämischen Lächeln dachte, als er nach drei Metern grüngelblichem Blattwerk, vollkommen geschützt vor fremden Blicken, eine Art Lichtung erreichte. Hier befand sich ein weißlackierter, hüfthoher Tisch, etwa zweieinhalb Meter lang und mit gelackter Arbeitsfläche. In zwei Reihen waren schwarze Pflanztöpfe darauf plaziert, aus denen Kräuterstauden sprossen. Ihre Blätterpracht im frühen Stadium erinnerte ein wenig an Efeu, während die Früchte mehr wie Haselnüsse aussahen. Doch es handelte sich weder um eine Kletterpflanze noch um einen Nussbaum, vielmehr war es eine Mutterpflanze, deren Samen – gemeinhin liebevoll als Babys bezeichnet – von besonderem Interesse waren.
Argyreia nervosa.
Hawaiianische Holzrose.
Eine weitaus unkompliziertere und unauffälligere Aufzucht und Pflege, wie er es von Hanfpflanzen gewohnt war. Auch an Abnehmern fehlte es nicht, wenn auch die psychoaktive Wirkung des Stoffs nicht zwingend dieselbe war.
»Allein die Dosis macht den Rausch«, murmelte Elsass zufrieden, nachdem er das Substrat aller achtzehn Plastiktöpfe mit der Fingerkuppe überprüft und mit einer Tropfpipette benetzt hatte. Seine Finger streiften durch die handflächengroßen Blätter, die sich in Augenhöhe befanden, und er sog den Duft ein. Für einen Moment war er versucht, sich dem Genuss dessen hinzugeben, was er mit Liebe gesät und gepflegt hatte. Diesem Rausch, wenn der Körper wie im Fluss der Gezeiten ineinanderzuströmen
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