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Giftspur

Giftspur

Titel: Giftspur Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Daniel Holbe
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erstarb in einem asthmatischen Zittern, als sei es der letzte Hauch gewesen. Die Inspektion war längst überfällig, wie es dem Kommissar einfiel. Nicht zum ersten Mal, aber solche Dinge konnte er sich ums Verrecken nicht merken.
    Leise, obwohl er noch nicht in sensibler Hörweite war, drückte er die Fahrertür zu und unterdrückte einen Hustenreiz, den die eisige Luft ausgelöst hatte. Bedächtig schritt er über den gefrorenen Boden, das Gras knisterte unter seinen Sohlen, ansonsten war weit und breit kein Laut zu vernehmen. Es war so still wie unter einer Vakuumglocke, und hier draußen hatte die Umgebungsluft sicher auch eine klinische Reinheit. In seinem Kopf formierte sich das Bild von Dr. Elsass, wie er in einem weißen Kittel zwischen Bunsenbrenner und Erlenmeyerkolben posierte, umgeben von Getreidehalmen, an denen Ähren so groß wie Gurken sprossen. Trotz aller Anspannung rang ihm diese surreale Phantasie ein Lächeln ab.
    Eine Stunde zuvor hatte Ralph Angersbach im Büro gesessen und seine wenigen Stifte lustlos auf der Schreibtischunterlage hin und her gerollt. Er hatte wiederholt zum Telefonhörer gegriffen, um Janine anzurufen. Auch wenn es ihr bestenfalls piepegal war, wann er nach Hause kommen würde, es war ein kleiner Schritt in Richtung Normalität. Die Begegnung am Vorabend hatte einen schalen Beigeschmack hinterlassen, eine Gewissheit, die Ralph verletzte. Er war seiner Halbschwester gleichgültig, aber vermutlich dachte sie dasselbe auch von ihm. Wahrscheinlich würde sie ihm, falls sie überhaupt ans Telefon ging, ein »mir doch egal« entgegenknurren. Und direkt nach seinem Anruf ihre ganze Kiffersippe einladen.
    Sturmfrei.
Bullenfrei.
    Als er den Hörer zum dritten Mal in die Hand nahm und unentschlossen verharrte, entschied Ralph, es für heute dabei bewenden zu lassen. Es gab weiß Gott genügend andere Dinge, mit denen er sich auseinanderzusetzen hatte.
    Paracelsus würde, wenn alles planmäßig verlief, in den frühen Morgenstunden am steinernen Bonifatiuskreuz seinen Geldkoffer auflesen. Ein durchaus bereichernder Pilgerweg, doch die Etappe würde dank der in der Umgebung postierten Beamten nicht weit führen. Die Absprache war eindeutig: Claudia Reitmeyer würde um drei Uhr morgens in ihren Landrover steigen, im Fahrzeugfond verborgen ein Zivilbeamter, auf dem Beifahrersitz die Tasche mit dem Geld. Im Inneren ein elektronischer Signalgeber, der durch einfache Geräte, wie man sie im Elektronikhandel erwerben konnte, nicht aufgespürt werden konnte. An den beiden nahe liegenden Bauernhöfen und einer Nebenstraße am Ortseingang von Heldenbergen warteten Zivilstreifen, die dort unmittelbar nach der Besprechung Stellung bezogen hatten, um im kargen Nachtverkehr nicht aufzufallen. Ein Hochsitz wurde in Beschlag genommen und außerdem ein Wasserhäuschen inmitten der Felder. Auch die umliegenden Verkehrsknotenpunkte waren abgedeckt, ein Netz also, wie man es engmaschiger kaum spannen konnte, ohne dem Erpresser aufzufallen. Paracelsus’ Warnung war eindeutig gewesen, und auch Schulte und Möbs hatten, ganz im Sinne von Claudia, argumentiert, dass die Übergabe keinesfalls an einer Überpräsenz von Polizeibeamten scheitern dürfe.
    Erneut umspielte ein bitteres Grinsen Ralphs Mundwinkel, denn die Gesamtsituation hätte zynischer kaum sein können: Im Falle eines Scheiterns würden womöglich Dutzende solventer Gesundheitsapostel, deren Beitrag zur Rettung des Planeten sie darin sahen, ihr Geld in den Bioladen zu tragen, vergiftete Milchprodukte erwerben. Produkte, deren biologische Herkunft darüber hinaus überaus fraglich war. Starb man dann reineren Gewissens als andere? War das Kaufen sozial und ökologisch verträglicher Erzeugnisse heutzutage das, was vor zweihundert Jahren die Wohlfahrt für gutbetuchte, gelangweilte Ehefrauen bedeutet hatte? Erlösung durch Freikaufen? Angersbach vertrieb diesen philosophisch-sarkastischen Anflug aus seinem Kopf, denn er näherte sich nun den Mauern des in karger Beleuchtung vor ihm liegenden Hofes. Was auch immer die Antwort auf seine Frage sein mochte, es standen Menschenleben auf dem Spiel. Und die Gefahr würde sich auch durch eine erfolgreiche Lösegeldübergabe nicht in Wohlgefallen auflösen. Wer konnte schon sagen, ob das Gift sich nicht längst auf dem Lieferweg befand und es Paracelsus schnurzpiepegal war, wie viele Personen noch sterben konnten?
    Nach mir die Sintflut.
Absolution durch den Tod.
    Paracelsus jedenfalls – Ralph

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