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Giftweizen

Giftweizen

Titel: Giftweizen Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Heike Schroll
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im Krankenhaus, oft mit schwersten Verletzungen. Holl war gefürchtet und berüchtigt, soll sogar der Chef einer Bande gewesen sein ... Also. Dieser Mann hatte eine erheblich jüngere Schwester, Jenny, die ging mit Singer, wie man damals so schön sagte, fest. Und Paul war auch ein bisschen in das Mädchen verschossen. Die drei verbrachten damals viel Zeit miteinander.«
Ahlsens trank nachdenklich einen Schluck Tee. »Eines Abends kam Jenny nicht zur Verabredung mit Eduard und ließ sich auch am nächsten Tag nicht sehen. Paul und Eduard gingen der Sache auf den Grund und fanden das Mädchen dann auch. Sie hatte sich in ihrem Zimmer eingeschlossen und öffnete erst nach langem Zureden die Tür. Grün und blau hatte ihr Bruder sie geschlagen, das Gesicht war völlig zugequollen, sie konnte sich kaum bewegen. Jenny flehte die beiden an, nichts zu sagen, ihre Eltern würden sonst todunglücklich werden.«
»Und das haben die Männer akzeptiert? Scheint mir wenig überzeugend zu sein.«
Walter stimmte Judith im Stillen völlig zu.
Botho Ahlsens nahm sich etwas Zeit für die Antwort. Dann blickte er Judith Brunner in die Augen. »Sie vermuten richtig; hören Sie: Der Grund für die Schläge war die Weigerung Jennys, einem Kumpan ihres Bruders zu Willen zu sein. Er hatte sie beim Putzen in Holls Bude angetroffen. Als Holl und er früher als gewöhnlich aus der Kneipe kamen, haben die besoffenen Schweine sie erst geschubst, geprügelt und dann brutal vergewaltigt. Beide!« Im letzten Wort war immer noch echtes Entsetzen zu spüren. »Holl brachte sie anschließend ins Elternhaus zurück und drohte ihr, das zu wiederholen oder sie gar totzuschlagen, sollte sie reden.« Ahlsens umgriff sein heißes Teeglas, als müsse er sich daran festhalten. Er spürte die brennende Hitze nicht.
»Was ist aus ihr geworden?«, wollte Judith Brunner nach bedrückenden Augenblicken wissen.
»Keine Ahnung. Jenny verschwand, sobald sie wieder laufen konnte. Niemand hat sie je wieder gesehen. Eduard und meinem Bruder hatte sie damals erzählt, sie wolle weggehen, irgendwohin, wo sie an all das nicht erinnert werden würde. Ihre Liebe war wohl nicht stark genug, um sie hier zu halten.«
Und die der beiden Männer auch nicht, um dem Mädchen zu folgen, dachte Judith. Eine traurige Geschichte.
Walter Dreyer fragte: »Welche Waffe haben die denn für ihre Tat benutzt? Ich meine, dass es eine Jagdflinte war, ist nicht zu übersehen gewesen. Doch wem gehörte sie?«
»Eduard! Das ließ er sich nicht nehmen. Er wollte den Kerl umbringen! Paul hat es dann mit viel Überzeugungsarbeit geschafft, ihn davon abzubringen. Er hatte im Krieg genug Menschen sterben gesehen und wollte nicht die Verantwortung für einen weiteren Tod auf sich laden. Ein Denkzettel sollte reichen. Vielleicht war diese Zurückhaltung meines Bruders auch der Grund, warum er und Eduard sich danach entfremdeten. Wir haben ihn jedenfalls seit damals kaum noch zu Gesicht bekommen.« Botho Ahlsens stand auf und legte ein Holzscheit nach. Das Feuer loderte auf und das Holz im Kamin knackste laut. Dann fuhr er beim Hinsetzen fort: »Schrotgewehre gab es in allen Haushalten, und die beiden hofften, im Ernstfall würde die Schusswunde nicht auf sie zurückzuführen sein. Viele Bauern nahmen die Dinger für die Jagd. Man benutzte sie ja gerade wegen der Streuung. Da musste man nicht unbedingt ein guter Schütze sein. Jeder Junge hier im Dorf wusste, wie die Wunden nach so einem Schuss aussahen. Das Fleisch war mit Blei durchsiebt. Die Leute haben deswegen ihre Patronen oft selbst hergestellt, je nachdem, was man vorhatte. Wollte man seine Jagdbeute noch verspeisen, war grobes Steinsalz beliebt, das ließ sich dann in Wasser teilweise wieder rauslösen. Es konnten auch andere Körner verwendet werden, zerstoßener Wacholder ist recht hart, oder Pfefferkörner. Obwohl das schon Luxus war. Gegen die Ernteschädlinge, Raubvögel oder kleinere Tiere, nahm man eher ein Luftgewehr und goss sich die kleinen Bleikügelchen meist selbst.«
»Schön. Aber was hat Eduard Singer benutzt?«
»Er lud seine Patronen mit Steinsalz. Das bekam er von Paul; wir hatten auf dem Gut einen ausreichenden Vorrat. Diese Ladungen streuten wegen der unregelmäßigen Form und Größe der Salzkörner besonders stark und konnten trotzdem noch zu den beabsichtigten Verletzungen führen. Das passte den beiden gut ins Konzept! Es sollte schmerzhaft, aber nicht tödlich sein ... Sie schnappten sich den Holl eines Abends. Erst

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