Gilde der Jäger 01 - Engelskuss
Jeffrey hätte es einen Dreck geschert, wenn sie auf der Straße verhungert wäre.
Jeffreys Gesicht wurde ganz hart. »Der Apfel fällt bekanntlich nicht weit vom Stamm.«
Um ein Haar hätte sie ihn beschimpft, doch es war im Endeffekt die innere Stimme ihrer Mutter, die sie davon abhielt. Marguerite hatte sie dazu erzogen, ihren Vater zu achten. Das konnte sie zwar nicht, aber das Andenken ihrer Mutter hielt sie in Ehren. »Gott sei Dank!«, sagte sie. Sollte er es nur ruhig als Beleidigung auffassen.
Jeffrey wandte sich ab und ging zu seinem Schreibtisch hinüber, der an der gegenüberliegenden Fensterseite lag. Seine Schritte wurden dabei von einem kostbaren blutroten Perserteppich geschluckt. »Das Geld wurde an deinem fünfundzwanzigsten Geburtstag fällig.«
»Das fällt dir aber ganz schön spät ein.«
Er griff nach einem Umschlag. »Du hattest einen Brief von der Rechtsabteilung bekommen.«
Jetzt erinnerte Elena sich, dass sie den Brief ungeöffnet in den Mülleimer geworfen hatte. Sie hatte ihn für einen weiteren Versuch gehalten, sie zum Verkauf ihrer Anteile am Familienunternehmen zu zwingen– die ihr ihr Großvater väterlicherseits vermacht hatte. Er schien sie jedenfalls gemocht zu haben. »Die haben sich ja förmlich ein Bein rausgerissen, um mich zu benachrichtigen.«
»Versuch bloß nicht, deine Gleichgültigkeit auf andere abzuwälzen.« Er kam zurück und drückte ihr den Umschlag in die Hand. »Das Geld wurde auf ein Sparkonto auf deinen Namen überwiesen. Die Einzelheiten findest du hier drin.«
Sie blickte ihm unverwandt ins Gesicht. »Und warum wolltest du mir das persönlich sagen?«
Hinter den Gläsern verengten sich die blassgrauen Augen. »Auch wenn mir deine Berufswahl zuwider ist…«
»Es ist keine Wahl«, sagte sie kalt. »Schon vergessen?«
Die darauf folgende Stille war ein Warnsignal dafür, den blutigen Tag niemals mehr zu erwähnen.
»Wie ich schon sagte, so bedauerlich deine Berufswahl auch ist, sie bringt dich mit mächtigen Leuten in Kontakt.«
Ihr wurde übel. Was, zum Teufel, hatte sie eigentlich erwartet? Schließlich wusste sie doch, dass sie ihrem Vater nichts bedeutete. Trotzdem war sie hergekommen. Anstatt wild um sich zu schlagen, wie sie es vielleicht als Teenager getan hätte, schwieg sie und wartete gespannt darauf, was er von ihr erwartete.
»Du kannst deiner Familie helfen.« Ein stahlharter Blick. »Etwas, woran dir bislang nichts gelegen war.«
Immer fester drückte sie den Umschlag in ihrer Hand. »Ich bin nur eine Jägerin«, sagte sie und schlug ihn mit seinen eigenen Worten. »Warum glaubst du, sollten sie mich besser behandeln als du?«
Er verzog keine Miene. »Mir ist zu Ohren gekommen, dass du viel Zeit mit Raphael verbringst, dass er möglicherweise auf dich hört.«
Sie redete sich ein, dass er nicht das im Sinn hatte, von dem sie glaubte, dass er es im Sinne haben könnte. Innerlich bebte sie, trotzdem sah sie ihm fest in die Augen. »Du prostituierst deine eigene Tochter?«
Nach wie vor blieb sein Gesicht ausdruckslos. »Nein. Aber wenn sie es sowieso schon tut, kann ich genauso gut Kapital daraus schlagen.«
Aus ihrem Gesicht wich alle Farbe. Wortlos drehte sie sich um und ging hinaus. Hinter ihr schlug die Tür ins Schloss. Eine Sekunde später hörte sie, wie etwas zerschlagen wurde, der unschöne Klang splitternden Kristalls auf Stein. Sie hielt inne, fassungslos, dass sie dem beherrschten Jeffrey Deveraux eine solche Reaktion abgerungen hatte.
»Ms Deveraux?« Geraldine war ihr nachgeeilt. »Ich habe gehört…«, verunsichert brach sie ab.
»Am besten, Sie machen sich in nächster Zeit rar«, sagte Elena, die sich wieder von ihrer Verblüffung erholt hatte und nun auf dem Weg zum Ausgang war. Wahrscheinlich hatte Jeffrey die Nerven verloren, weil sie es im Gegensatz zu seinen übrigen Speichelleckern gewagt hatte, sich ihm zu widersetzen. Damit, dass er seiner Tochter ins Gesicht gesagt hatte, dass er sie für eine Hure hielt, hatte das überhaupt nichts zu tun. »Und, meine Liebe«– an der Tür drehte sie sich noch einmal um–, »lass ihn das niemals herausfinden.«
Die Assistentin nickte kurz.
Noch nie war Elena so dankbar über den lauten Großstadtrummel gewesen wie an diesem Tag. Ohne sich noch einmal umzublicken, schritt sie die Stufen hinab, weg von dem Mann, der mit seinem Sperma zu ihrer Entstehung beigetragen hatte. Als sie erneut die Fäuste ballte, fiel ihr der Umschlag wieder ein. Mühsam rang sie um
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