Gilde der Jäger: Engelsblut (German Edition)
Gebäude – und Viveks schnippische Kommentare darüber, dass sie ihn nicht früher besucht hatte – hinter sich gebracht hatte, betrat Elena die Duftkammer.
Der Raum war völlig unmöbliert und in einem klinischen Weiß gestrichen. Er schien ihr etwa die Größe eines Schuhkartons zu haben. Mit zusammengebissenen Zähnen rang sie einen Anflug von Klaustrophobie nieder und atmete tief ein, um sich zu vergewissern, dass der Raum frei von Außengerüchen war – bis auf die, die an ihr selbst hafteten – , bevor sie die Flasche voll flüssiger Nacht entkorkte, die sie ein hübsches Häufchen Kleingeld gekostet hatte.
Üppig, sinnlich, schwer … süchtig machend.
Sie blinzelte, trat im Geist einen Schritt zurück und versuchte es noch einmal mit anderen Worten.
Dunkel, verborgene Noten von Sonnenlicht … einer sehr femininen Macht. Nicht gefährlich für eine Frau.
Ein komplexer Geruch, dachte Elena, der zu einem Erzengel passte.
Doch während sie sich nun sicher war, dass sie genau diese Kombination von Duftnoten an den unter der Brücke hängenden Körpern und auf dem Mädchen im Vergissmeinnicht-Kleid gerochen hatte, stimmte der Duft nicht ganz mit dem überein, den sie über dem Hudson oder im Schlafzimmer gewittert hatte, als Caliane den Namen ihres Sohnes geflüstert hatte.
Zwischen ihren Brauen bildete sich eine Furche.
Es war gut möglich, gestand Elena sich ein, dass ihre Erinnerung sie trog. Schließlich hatte ihr Adrenalin in den beiden letzten Situationen die Schallmauer durchbrochen. Außerdem waren sowohl die verstümmelte Gestalt des Mädchens als auch die Vampire auf der Brücke dem Wetter ausgesetzt gewesen – subtilere Duftnoten hätten sich längst verflüchtigt haben können, bevor Elena am Tatort ankam.
Trotzdem …
Als Raphael eintraf, stand Elias am Ufer eines Flusses hinter dem Herrenhaus, von dem aus Nazarach über Atlanta herrschte. Der Erzengel von New York landete in einiger Entfernung davon und ging durch den Schatten der dicht belaubten Bäume, die das Ufer säumten, bis zum Rand des ruhigen Stroms. Auf der anderen Seite tauchte eine Trauerweide ihre Arme in die glitzernde Wasseroberfläche, und er konnte die Rufe der Vögel hören, die sich in ihrem Blattwerk verbargen.
Es war ein schöner Ort, und nichts deutete auf die Grausamkeiten hin, die Nazarach verübt hatte. Jeder Engel hatte seine eigene Art zu herrschen. Nazarach setzte Furcht ein. Doch es war nicht der Engel mit den bernsteinfarbenen Flügeln, den Raphael hier treffen wollte. »Warum hältst du dich in meinem Herrschaftsgebiet auf, Elias ?«
Der Erzengel, der über Südamerika herrschte, sah auf, und in seinen goldbraunen Augen lag ein gequälter Ausdruck. Seine Haare waren durcheinander, als hätte er sie gerauft. »Ich bin gekommen, um dich um Asyl zu bitten, Raphael .«
»Nicht für dich .« Elias war älter als Raphael und verfügte selbst über große Macht.
Er sah blicklos auf das Wasser, seine Flügel hingen auf die moosige Erde herab. »Für Hannah .«
»Du befürchtest, du könntest ihr etwas antun ?« Die gleiche Angst hatte Raphael gespürt, als er Elena nach Ignatius’ Hinrichtung so grob genommen hatte.
»Ich würde ihr niemals wehtun « , sagte Elias mit hohl klingender Stimme, »aber ich bin nicht immer ich selbst .«
»Ein Zorn, der sich rot über deinen Blick legt ?«
Elias’ Kopf fuhr mit einem Ruck hoch. »Du hast es gespürt ?«
Während Raphael über seine Antwort nachdachte, seufzten die schwergliedrigen Bäume über ihnen und um sie herum in die Stille. Elias konnte ihm auch etwas vorspielen, um Raphaels Schwäche ausfindig zu machen. Doch der Erzengel von Südamerika war auch derjenige, der sich im Kader immer hinter Raphael gestellt hatte, derjenige, der ihm gesagt hatte, dass er das Potenzial zum Anführer habe. »Ja, aber nicht in der letzten Woche .« Er betrachtete Elias’ gequältes Gesicht. »Hat es dich seitdem wieder befallen ?«
Der goldene Schopf, der Bildhauer und Dichter inspiriert hatte, wurde kurz und verneinend geschüttelt. »Aber einmal war genug. Ich vertraue mir selbst nicht mehr – ich habe mit einer Grausamkeit gehandelt, die mich für die nächsten Jahrhunderte verfolgen wird. Nur durch Hannahs Eingreifen haben die betroffenen Vampire überlebt .« Elias ballte die Hände zu Fäusten. »Ich hätte sie mit der gleichen Grausamkeit verletzen können .«
Raphael hatte schon vor langer Zeit gelernt, die Schwachstellen in der Abwehr eines Gegners zu
Weitere Kostenlose Bücher