Gilde der Jäger: Engelsblut (German Edition)
fertig, die doppelt so groß waren wie sie. Die Masse der Menschen könnte sie wohl überwältigen, doch nicht, bevor sie ihre Anzahl erheblich reduziert hatte.
Als sie sah, dass die inzwischen undurchdringlich gewordenen Mauern aus Menschen sämtlichen Verkehr zu beiden Seiten der Straße stillgelegt hatten, stellte sie sich in die Mitte … und sah zum Himmel hinauf. Und da war er, die Spannweite seiner Flügel warf einen riesigen Schatten, als er sich hinunterschwang und vor ihr landete. »Geht es dir gut, Gemahlin ?«
Stille hatte sich über ihr Publikum gelegt, in ihre Ehrfurcht hatte sich nun auch Angst eingeschlichen.
»Sie sind nur neugierig .« Sie sah das Gefährliche in seinen Augen, wusste, dass er in der Lage war, jeden einzelnen Menschen auf dieser Straße hinzurichten. »Ich hätte vorher daran denken sollen. Ich hatte nur … vergessen, dass nichts mehr so ist, wie es einmal war .«
Raphaels Haar bewegte sich im Wind, als er ihr die Hände um die Hüften legte. Sie ließ ihr Messer verschwinden, hielt sich mit einer Hand an seiner Schulter fest, in der anderen trug sie die Schachtel. Sie erwartete, dass er in die Höhe steigen würde, doch stattdessen ließ er den Blick über die versammelte Menge wandern. Aus dem Wimmern und dem plötzlich dringenden Bestreben der Menschen, sich zu zerstreuen, konnte Elena sich ein gutes Bild davon machen, was diese flüchtig erblickt haben mussten.
Als sie dann abhoben, geschah es mit der langsamen, kraftvollen Anmut, die alle vor Ehrfurcht erstarren lassen sollte.
Erst als sie hoch über der Erde schwebten, sagte sie: »Das klingt jetzt wahrscheinlich undankbar – aber ich finde es furchtbar, dass du mich retten musstest .« Das Gefühl einer Niederlage breitete sich wie Säure in ihrem Inneren aus, scharf und ätzend. »Ich bin keine Frau, die gerettet werden muss. Das bin nicht ich .« Und auch nicht die, die er zur Gemahlin genommen hatte.
»Ich werde mit Illium reden – dein Training für die Senkrechtstarts muss absoluten Vorrang bekommen .« Bei diesen pragmatischen Worten spürte sie seine Hände warm auf ihrer Haut. »Sobald du ihn beherrschst, ist es unmöglich, dich auf diese Weise in die Ecke zu drängen .«
EinschmerzhafterAusbruchvonGefühleninihrerBrust.DasiekeinWorthervorbrachte,ließsieihrHerzdurchihreAugensprechen. Danke. Nichtnurdafür,dasserihrihreStadt,ihreHeimatzurückgegebenhatte … sondernauchdafür,dasserihreverborgeneAngst,erkönntesienichtmehrwollen,besänftigthatte.
Auf dem Weg zum Turm spürte Raphael noch immer die zärtliche Wildheit von Elenas Abschiedskuss auf seiner Haut, als Dmitris Gedanken die seinen berührten. Sire, Favashi wünscht Sie zu sprechen. Eine reine Feststellung.
Ich werde in wenigen Minuten da sein.
Das Gesicht des persischen Erzengels war auf dem Bildschirm zu sehen, als Raphael eintrat, und zum ersten Mal erblickte er einen Bruch in ihrer heiteren Gelassenheit. »Favashi. Geht es um Neha ?«
»Nein. Sie scheint derzeit mit ihrem eigenen Territorium beschäftigt zu sein .« Favashis Stimme klang zerstreut, ihre Aufmerksamkeit galt ganz klar einem anderen Gegenstand. »Wir haben ein Problem, Raphael .«
Im Gegensatz zu anderen Mitgliedern des Kaders hatte er den Erzengel von Persien nie unterschätzt. Obwohl Favashi mit dem Samthandschuh regierte, steckte darin doch eine Hand aus Stahl. »Wen betrifft es ?«
»Elias. Sein Verhalten ist sehr rätselhaft .«
Mit dieser Entwicklung hätte er nie gerechnet. »Inwiefern rätselhaft ?« Elias war eines der gefestigtsten Mitglieder des Kaders.
»Berichten zufolge ist er gewalttätig geworden. Das würde mich bei Charisemnon oder Titus nicht überraschen, aber bei Elias ?«
Raphael runzelte die Stirn. »Hat er Hannah etwas angetan ?« Der Gedanke, dass Elias Hannah etwas zuleide getan haben könnte, war ebenso unerträglich wie die Vorstellung, dass Raphael die Hand gegen Elena erheben würde. Wenn der Erzengel diese Grenze überschritten hätte, dann musste Caliane dem Erwachen näher sein, als sie alle glaubten – und auch ihre Macht schien zu erwachen. Die Auswirkungen auf die übrigen Kadermitglieder konnten eine unbeabsichtigte Folge davon sein, dass sie ihre immensen Fähigkeiten noch nicht unter der Kontrolle ihres wachen Bewusstseins hatte … oder es war das teuflische Spiel eines geisteskranken Erzengels.
»Es gibt keine Informationen darüber, dass er Hannah angefasst hätte. « Favashis elegante Stimme riss ihn aus seinen Gedanken. »Doch
Weitere Kostenlose Bücher