Gilde der Jäger: Engelsblut (German Edition)
schüttelte sich den Regen aus den Flügeln. »Ich bin nur gekommen, um kurz mit Eve zu sprechen, bevor ich die Stadt verlasse .« Sie wollte nicht, dass ihre jüngste Schwester das Gefühl hatte, vergessen worden zu sein. Diesen Schmerz wollte sie niemals selbst jemandem zufügen.
»Komm rein « , sagte Gwendolyn, auf deren dezent geschminktem Gesicht sich Besorgnis malte. »Du musst völlig durchgefroren sein .«
Triefend stand Elena in der Eingangshalle. »Tut mir leid, ich bin nass .«
»Einen Augenblick .« Gwendolyn verschwand und kam mit einem Handtuch zurück, das sie ihr reichte. Elena trocknete sich das Gesicht ab und versuchte nach Kräften, das Wasser aus ihrem Pferdeschwanz zu wringen. »Ich bleibe lieber hier in der Halle – ich möchte euren Teppich nicht ruinieren .«
»Den kann man reinigen .«
Während sie versuchte, die Teile ihrer Flügel glatt zu streichen, die sie mit den Händen erreichen konnte, bemerkte sie aus den Augenwinkeln, dass Gwendolyn sie anstarrte. »Ich muss ja verboten aussehen « , sagte sie mit einem Lachen und rechnete mit einer höflichen Antwort.
Was dann kam, hätte sie nie erwartet.
»Ich habe mich immer gefragt « , sagte die andere mit rauer Stimme, »was an ihr so wundervoll gewesen sein muss, dass er sie nicht loslassen konnte, dass er sich sogar eine Geliebte genommen hat, die ihn an sie erinnerte .«
Elena hatte das Gefühl, der Boden würde sich unter ihren Füßen auftun. Diese Unterhaltung wollte sie mit der zweiten Frau ihres Vaters ganz sicher nicht führen. »Gw …«
»Jetzt sehe ich es« , fuhr Gwendolyn fort, tiefe Furchen gruben sich um ihren Mund. »Da ist etwas in dir, etwas, das du von ihr haben musst – und dieses Etwas werde ich niemals haben. Deshalb hat er mich geheiratet .«
Obwohl ihr die Situation äußerst unangenehm war, konnte Elena angesichts einer solchen Verletztheit nicht einfach nur dastehen. »Du weißt, wie er reagiert hat, als ich die Gilde-Akademie besuchen wollte .« Dass sie sich ohne seine Erlaubnis an der Akademie angemeldet hatte – eine Erlaubnis, die er niemals gegeben hätte – , hatte zu dem Streit geführt, in dem er sie eine »Verworfene « genannt und sie dann aus seinem Leben gestrichen hatte. »Und doch erlaubt er Eve, hinzugehen. Das tut er deinetwegen – er hört auf dich .«
Gwendolyn schlang die Arme um ihren Körper, feine Fältchen wurden an den Rändern ihrer Augen sichtbar. »Das Schlimmste ist – ich liebe ihn. Habe ihn immer geliebt .« Sie drehte sich um und ging den Flur hinunter. »Er ist im Arbeitszimmer .«
»Warte, ich wollte nur mit Eve sprechen .«
Die schlanke Frau sah sich zu Elena um und strich sich das Haar hinter das Ohr. »Ich werde sie herunterholen, aber du wirst nicht darum herumkommen, mit ihm zu sprechen, das weißt du .«
Vielleicht nicht, aber sie konnte es so lange wie möglich hinauszögern. Also wartete sie, bis Eve herunterkam, und verbrachte eine gute halbe Stunde mit ihrer Schwester. In dieser Zeit beantwortete sie die Fragen über das Jagen, die ihre Schwester seit ihrem letzten Treffen beschäftigt hatten – und ließ sie wissen, dass sie sie jederzeit anrufen könne.
Danach sprachen sie von schmerzlicheren Dingen.
»Ich vermisse Betsy « , flüsterte Evelyn, die Hand fest zu einer kleinen Faust geballt. »Sie war meine allerbeste Freundin .«
»Ich weiß, Kleines .«
Eves Augen glänzten feucht, als sie sich in Elenas Arme warf und dabei viel jünger wirkte, als sie wirklich war – das Nesthäkchen der Familie. »Mama glaubt, ich weiß nichts davon, aber das stimmt nicht. Wir sahen uns so ähnlich. Jeder sagt das .«
Elena wusste nicht, was sie sagen, wie sie diesen Schmerz lindern konnte, also hielt sie Evelyn einfach fest in den Armen und wiegte sie, bis die Tränen versiegt waren. »Schhh, Süße. Betsy hätte bestimmt nicht gewollt, dass du dich so fertigmachst .«
»Sie war so lieb, Ellie .« Ein ersticktes Schluchzen. »Sie fehlt mir jeden Tag .«
Elena verstand sie aus tiefstem Herzen. Sie vermisste Ari und Belle und Marguerite jeden Tag, jede Sekunde. »Warum erzählst du mir nicht von ihr ?«
Es dauerte eine Weile, bis Evelyn unter Tränen endlich sprechen konnte, doch als sie tat, war es, als würde ein Damm brechen. Sie erzählte nicht nur von Betsy, sondern auch von Celia, dem Mädchen, das »so gut Klarinette spielte wie keine andere « und das nicht gelacht hatte, als Eve im Unterricht einen Fehler gemacht hatte.
Während Elena still
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