Gilde der Jäger: Engelsblut (German Edition)
.«
Das war keine Ruhe, dachte Raphael. Die Stimmung hatte mehr mit der unnatürlichen Stille gemein, die sich über ein Gebiet legt, bevor dort die Hölle losbricht. »Ich … « Er unterbrach sich, als seine Sinne etwas Unerwartetes, ja eigentlich Unmögliches wahrnahmen. »Dmitri, wir müssen unser Gespräch auf später verschieben .«
Die meisten anderen, selbst die seiner Sieben, hätten sich zurückgezogen, doch Dmitri blickte in die klare, blaue Weite des Himmels hinauf. »Wer ist es ?«
»Lijuan .«
Der Erzengel von China … und des Todes.
21
Dmitri stieß zischend die Luft aus. »Ich werde den Turm sofort in Alarmbereitschaft versetzen .«
Raphael breitete seine Flügel aus und erhob sich in die Luft über dieser chaotischen, wunderschönen Stadt aus Stahl und Glas, so voller Menschen. Von dieser Stadt aus, dem Zentrum seiner Macht, hatte er sich das gesamte Territorium angeeignet, über das er jetzt herrschte. Lijuan erwartete ihn zwischen den Hochhäusern, wo die Luft dünn genug war, um für einen Sterblichen tödlich zu sein. Im Gegenlicht des gleißenden Sonnenscheins sah sie mit ihren perlmuttartigen Augen und dem Haar in reinstem Weiß so unheimlich unmenschlich aus wie eh und je.
Er hielt kurz vor ihr und stellte fest, dass sie heute in Fleisch und Blut erschienen war. »Ich fühle mich geehrt .« Seit der Zerstörung von Peking und Lijuans »Entwicklung « hatte sie sich anderen ausschließlich auf Wasseroberflächen gezeigt, die sie anscheinend mit Vergnügen zur Kontaktaufnahme nutzte.
»Selbstverständlich bin ich zu dir gekommen « , hauchte sie in dieser Stimme, die den Anlass ihres Besuchs nicht deutlicher hätte machen können. »Niemand sonst interessiert mich .«
Elena, wo bist du?
Auf dem Weg zur Gilde-Akademie, um Eve zu treffen. Brauchst du mich?
Halte dich bis auf Weiteres vom Haus fern. Ich möchte nicht, dass du in Lijuans Blickfeld gerätst.
Es entstand eine Pause, doch sie widersprach nicht – obwohl er nur zu gut wusste, dass es ihr nicht gefiel, ihn in der Nähe des Erzengels von China zu wissen. Sei vorsichtig, Erzengel.
Parallel zu dieser Unterhaltung hatte er belanglose Nettigkeiten mit Lijuan ausgetauscht und wandte sich nun mit seinem Körper dem ruhigen Hudson zu, auf dessen Oberfläche sich das Licht zu Tausenden von Scherben brach. »Komm mit, wir werden uns bei mir zu Hause unterhalten .«
»Das ist sehr höflich von dir, Raphael .« Der süße Klang ihres Lachens schien seltsam unpassend für eine Frau, die die Toten hatte auferstehen lassen und deren Macht mit fauliger Dunkelheit durchwoben war. »Überrascht es dich nicht, dass ich dich den anderen vorziehe ?«
Raphael antwortete nicht, und auch sie sagte nichts mehr, bis Montgomery ihnen Tee serviert und die Türen der Bibliothek hinter sich geschlossen hatte. Lijuan hatte sich einen der Sessel vor dem Kamin ausgesucht, und Raphael saß ihr gegenüber und gab den Gastgeber – bei Lijuan war es wichtig, die kleinen Höflichkeitsgesten zu beachten. Wenn er das tat, würde sie ihrem eigenen, ganz speziellen Protokoll folgen. Es würde kein Blutvergießen geben, nicht solange sie Gast in seinem Haus war.
Lijuan schlürfte ihren Tee und seufzte. »Ein physischer Körper hat auch seine Vorzüge .«
Bei ihrem letzten Treffen in Peking hatte sie ihm berichtet, dass sie keine Nahrung mehr zu sich nehmen müsse. »Haben sich deine Bedürfnisse geändert ?«
Ein weiches Lächeln, das unschuldig aussah … wenn man die verdorbenen Schatten nicht sah, die darunterlagen. »Nicht meine Bedürfnisse. Meine Gelüste .« Noch ein Schlückchen Tee. »Manche Dinge kann Macht alleine nicht ersetzen .« Sie hielt die Teetasse anmutig in der zarten Hand und suchte seinen Blick. »Wie hältst du das aus ?«
Er hob eine Augenbraue und wartete.
»Diese Sterblichen .« Sie winkte mit der Hand in Richtung Manhattan. »Überall um dich herum, wo du auch hingehst. Wie Ameisen .«
Während Aodhan eine ähnliche Frage mit tiefer, hungriger Neugier gestellt hatte, lag in der Stimme des Erzengels von China nur Verachtung. »Ich habe immer in dieser Welt gelebt, Lijuan .«
Ein Seufzen. »Ich vergaß. Du hast nicht so viele Millennien gesehen wie ich. Auch ich habe einst unter Sterblichen gelebt .«
Er dachte an die Geschichten, die Jason über Lijuans Vergangenheit aufgedeckt hatte, an das Grauen, das der weibliche Erzengel verbreitet hatte. »Du bist schon immer eine Göttin gewesen .«
Ein majestätisches Nicken. »Wirst
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