Gilde der Jäger: Engelsblut (German Edition)
Mutter sicher eingetroffen ?«
»Ja. Wir essen morgen Abend mit ihr .«
»Ich hatte angenommen, sie würde über Nacht bleiben wollen .« Sie zitterte, als eine besonders heftige Bö den Regen gegen das Fenster peitschte, war sich allerdings nicht sicher, ob das überhaupt etwas mit dem Unwetter zu tun hatte. Schon die ganze Zeit, seit Raphael ihr von seinem Treffen mit Lijuan erzählt hatte, standen ihr alle Haare zu Berge. »Könntest du darin fliegen ?«
Der Erzengel stand an seinem massiven Schreibtisch in der Mitte des Raums und sah Unterlagen durch, seine Flügel schimmerten im bernsteinfarbenen Licht. Er nickte. »Du könntest es auch, wenn auch nur für kurze Zeit. Deine Federn sind so aufgebaut, dass sie sich nicht mit Wasser vollsaugen, doch wegen des Drucks von Regen und Wind müsstest du bei jedem Flügelschlag größere Kräfte aufbringen, um dich in der Luft zu halten .«
Wenn sie früher beobachtet hatte, wie die Engel von den hohen Balkonen des Turms abflogen, hatte sie das mit stiller Ehrfurcht erfüllt. Es war nicht die unerträgliche, verehrende Anbetung derjenigen, die vom Anblick eines Engels buchstäblich verzaubert wurden, sondern eine einfache, tiefe Anerkennung ihrer überirdischen Schönheit und Anmut. »Bevor mir Flügel gewachsen sind, habe ich mir nie Gedanken über die Mechanismen gemacht, die hinter dem Fliegen stecken .« Ihre Flügel hatten ihr eine Freiheit geschenkt, die weit über das hinausging, was sich die meisten Menschen vorstellen konnten.
Der Erzengel von New York betrachtete sie, als sie zu ihm an den Schreibtisch trat. In seinen kristallblauen Augen spielte das Gelborange der Flammen im Kamin. »Woran denkst du, Elena ?«
»Werden Lähmungen geheilt, wenn man zum Vampir wird ?« In ihrem Job hatte sie immer nur Jagd auf ausgemachte Idioten gemacht und sich nie vorstellen können, warum irgendjemand sich zu hundert Jahren Sklaverei verpflichten sollte, nur um länger zu leben. Doch Venoms flapsige Bemerkung über seine nachwachsenden Eier hatte ihr einen Denkanstoß gegeben, und so hatte sie einige Nachforschungen in der Bibliothek der Akademie angestellt. »Ich weiß, dass der Vorgang eine Reihe anderer Krankheiten heilt. Aber gilt das auch bei Schädigungen des Rückenmarks ?«
»Der Prozess findet nicht sofort statt « , sagte Raphael. »Je nach Schwere der Verletzung kann es bis zu fünf Jahren dauern, bis der Vampirismus in den Zellen weit genug fortgeschritten ist, um den Schaden zu beheben. Nicht viele Engel sind bereit, so lange zu warten .«
Elena biss sich auf die Lippe.
»Du musst an sein Blut kommen .«
Sie hatte gewusst, dass er nicht Nein sagen würde, dennoch zog sich ihr Herz zusammen. »Ich werde es stehlen müssen. Ich will ihm keine Hoffnungen machen, solange er nicht als Kandidat qualifiziert ist .« Vivek hatte schon genug Schmerzen ertragen müssen. »Gib mir ein bisschen Zeit, um herauszufinden, wie ich es anstellen kann .«
DerWiderscheindesFeuersfingsichinRaphaelsHaar,alsernickte.»Ichhabevorhingehört,dassdumitSamgesprochenhast .«
»Er ist ein Plappermaul .« Der Junge hatte eine ganz eigene Art, sie um den Finger zu wickeln. »Er sagte, Jessamy habe ihn einen extra langen Aufsatz schreiben lassen, weil er etwas Böses angestellt habe, aber er wollte mir nicht sagen, was es war .« Es machte sie froh, dass er sich so sehr nach sich selbst angehört hatte. Man hatte ihr gesagt, dass seine Erinnerungen an das Trauma, das er erlitten hatte, langsam zurückkehren würden, damit er sie nach und nach verarbeiten konnte.
»Haben seine Eltern bereits angefangen, mit ihm darüber zu sprechen ?« , fragte Raphael, der dem Lauf ihrer Gedanken mit messerscharfer Präzision gefolgt war.
Sie lehnte sich an die muskulöse Wärme seines Körpers. »Manchmal stellt er mir diese eine Frage, aber am meisten ist er daran interessiert, wie alle in der Zufluchtsstätte nach ihm gesucht haben. Er findet das toll .«
»Sehr klug von seiner Mutter und seinem Vater « , sagte Raphael halblaut und schmiegte einen seiner Flügel an ihren, als er sie ausbreitete. »Selbst wenn die Erinnerungen zurückkommen, wird diese Suche, die Tatsache, dass er so sehr geliebt wird, im Vordergrund bleiben, nicht das Leid und der Schrecken .«
»Ja .« In diesem Moment blieb ihr Blick an den Dokumenten auf seinem Schreibtisch hängen. »Was ist das ?« Sie nahm ein Blatt schweres Papier in die Hand, in das die ineinander verschlungenen Buchstaben E und H geprägt waren und
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