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Gillian Shields - Der Zauber der Steine

Gillian Shields - Der Zauber der Steine

Titel: Gillian Shields - Der Zauber der Steine Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Band 3
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Geschichte.
    Bevor ich nach Wyldcliffe kam, beschützten mich Vater und Mutter vor allen Gefahren. Aber sie haben mir immer die Wahrheit gesagt, selbst als ich noch ganz klein war. Die Lieblingsstelle aus dem Evangelium meiner Mutter lautet: »Die Wahrheit macht dich frei.« Auch ich habe mich bemüht, nach dieser Regel zu leben. Als Daphne versuchte, mich mit der Wahrheit über meine Herkunft zu schockieren, war ich nicht wirklich überrascht. Ich wusste immer schon, dass William und Katherine Melville nicht meine richtigen Eltern sind. Ich wusste auch, dass meine leibliche Mutter gestorben ist, als ich noch ganz klein war. Sie hieß Adamina, genau wie ich. Der Name bedeutet »Tochter der Erde«. Sie war eine Roma. »Die Roma sind ein sehr altes und stolzes Volk«, betonte Mutter immer, wenn sie von ihr sprach. »Vergiss das nie, mein Schatz. Sei stolz auf das, was du bist.«
    Und das bin ich, das bin ich wirklich. Dumme, eingebildete Mädchen wie Daphne und Winifred können diesem Stolz nichts anhaben.
    Als Mutter und Vater heirateten, wünschten sie sich eine große Familie und träumten von vielen Kindern, die mit ihnen in Grensham leben sollten. Aber Mutter wurde nicht schwanger, und sie war schon fast dreißig, als ihr der Arzt sagte, dass sie keine Kinder bekommen könne. Sie und Vater verband eine innige Liebe, und sie versuchten, ihr Schicksal zu akzeptieren. Sie nahmen sich vor, ein glückliches und erfülltes Leben zu zweit zu führen, auch ohne Kinder. Sie widmeten sich ganz und gar ihrem Haus und den Ländereien. Mutter gründete eine Schule und Vater eine Krankenstation mit einem Arzt für die Dorfbewohner. Aber das Gefühl, dass ihnen zu ihrem Glück etwas fehlte, blieb, sagte Mutter immer.
    Es muss sehr schwer für sie gewesen sein, alles zu haben, nur das nicht, was sie sich am sehnlichsten wünschten.
    Das beschauliche Leben in Grensham ging seinen gewohnten Weg, folgte dem Wechsel der Jahreszeiten und den Geboten der Kirche. Vater erlaubte den Roma jedes Jahr, ihr Lager auf seinem Grund und Boden aufzuschlagen, was einige Nachbarn gar nicht schätzten. Manchmal gab es sogar Streit deswegen, aber Vater sagte, es sei ein verbrieftes Recht und die alten Rechte müssten respektiert werden. Die Roma kamen zur Erntezeit und halfen bei der Feldarbeit. Vater war dankbar dafür und bezahlte sie angemessen. Mutter wurde von den Roma sehr verehrt. Als Dank für ihre Unterstützung der Frauen und Kinder schenkten sie ihr einmal sogar ein kunstvoll besticktes traditionelles Roma-Gewand. Aber eines Tages gab es einen fürchterlichen Streit. Adamina war die schönste unter den jungen Zigeunerfrauen, und sie war schwanger. Ihr Ehemann Stefan wurde beschuldigt, einen Bauern aus der Gegend bestohlen zu haben, und man steckte ihn ins Gefängnis. Adamina war so schockiert und außer sich vor Wut, dass das Baby zu früh kam und die Mutter bei der Geburt starb, das Kind in ihren Armen. Dieses Baby war ich.
    Wenn ich an meine richtige Mutter denke, bin ich traurig. Aber es ist eine Trauer, die tief in meinem Inneren sitzt. Sie ist wie ein weit entfernter Klang, schön und schmerzhaft zugleich.
    Nachdem Adamina gestorben war, kümmerte sich meine Adoptivmutter aufopferungsvoll um mich, sie liebte mich wie ihr eigenes Kind. Die Roma wussten nicht, was sie mit mir anfangen sollten, einerseits gehörte ich zu ihnen, andererseits auch wieder nicht, da mein Vater Stefan immer noch im Gefängnis war. Er hatte noch kein rotes Band um meinen Hals gebunden, wie es Brauch war, wenn Anspruch auf ein Kind erhoben wurde. Vater wusste, dass Stefan kein Dieb war, und er bemühte sich sehr, seine Unschuld zu beweisen und ihn frei zu bekommen. Als Stefan aus dem Gefängnis entlassen wurde, war er völlig verzweifelt über Adaminas Tod und schwor, er würde durch die Welt ziehen, um den Schmerz zu vergessen, und nie wieder nach Grensham zurückkehren. Für ihn und sein Volk war unser Landgut jetzt ein Ort des Todes und des Unglücks. Doch aus Dankbarkeit für ihre Unterstützung gab er Mutter und Vater das rote Band und sagte ihnen, sie sollten es um meinen Hals binden, so dass ich ihr Kind wurde. So hatten sie es sich von Anfang an erträumt.
    Und so wurde aus einer »dreckigen Zigeunerin« das Adoptivkind eines reichen englischen Ehepaars. Sie lieben mich über alles, es fehlte mir an nichts, sie schickten mich sogar auf diese feine vornehme Schule in Wyldcliffe. Dass mich hier junge Ladys quälen und verachten würden und ich mich

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