Gillian Shields - Der Zauber der Steine
sehnlichster Wunsch würde endlich in Erfüllung gehen!
Helen keuchte: »Du bist so grausam! Tu doch nicht so, als ob du mich lieben würdest! Niemand kann das. Niemand!«
»Ich habe dich immer geliebt, mein Kind, obwohl uns das Schicksal entzweit hat«, flüsterte Mrs Hartle, und einen Augenblick lang glaubte ich ihr. Aber als sie nach Helen griff, erkannte ich das wilde Glitzern in ihren Augen, das ihre Gier nach Helens Kräften verriet. »Wir können noch einmal von vorne anfangen. Komm zu mir«, lockte sie flüsternd.
Helen erhob sich und schritt auf ihre Mutter zu, als wäre sie ferngesteuert.
»Nein, Helen, das sind alles Lügen, glaub ihr kein Wort!«, schrie Evie verzweifelt, aber Helen hörte nicht auf sie.
»Ich liebe dich!«, schluchzte sie, als sie Mrs Hartle direkt gegenüberstand. »Ich habe dich mein ganzes Leben lang geliebt! Ich hätte alles für dich getan!«
Ich war schockiert. Wenn Helen uns ihre Hilfe verweigerte und zu ihrer Mutter zurückkehrte, dann war alles verloren. Und sie würde durch die Hölle gehen. Das durften wir nicht zulassen. Cal und Josh versuchten immer noch, sich von den Fesseln zu befreien, während Evie verstört zu der weinenden Helen hinüberblickte. Ich bemühte mich, Kontakt mit dem Talisman aufzunehmen, der immer noch unter meiner Kleidung versteckt um meinen Hals hing. Lass Helen die Wahrheit erkennen, Agnes, betete ich innerlich, lass sie wissen, dass wir sie so lieben, wie sie ist, nicht wegen ihrer Kräfte. Erspare ihr die Enttäuschung.
»Endlich, mein Kind«, sagte Mrs Hartle, »endlich hast du Vernunft angenommen.«
»Ich … ich habe gelernt, dass ich nicht so sein kann wie du«, erwiderte Helen. Man merkte ihr an, wie viel Mühe sie diese Worte kosteten: »Ich habe dich geliebt und gehasst, und jetzt habe ich gelernt, ohne deine Liebe zu leben. Hier, das hast du mir gegeben, aber es hat mich nur in Schwierigkeiten gebracht. Nimm es zurück, und vergiss, dass du einmal eine Tochter hattest.« Sie löste die Brosche mit dem stilisierten Flügelpaar von ihrer Bluse und hielt sie ihrer Mutter hin. »Lass es hier zwischen uns zu Ende sein.«
Mrs Hartle starrte überrascht auf das glitzernde Schmuckstück in Helens Hand, und ein rätselhafter Ausdruck glitt über ihr Gesicht. Sie schien mit sich zu kämpfen. Als wäre dieser Moment ihre letzte Chance, sich zwischen Gut und Böse zu entscheiden, zwischen Wahrheit und Lüge.
»Du hast also das Siegel gefunden«, flüsterte sie kaum hörbar, »das einzig Gute, das du jemals von mir bekommen hast. Versteck es, bevor …«, dann brach sie ab, und ihr Gesichtsausdruck veränderte sich erneut. »Dafür habe ich jetzt keine Zeit. Willst du zu mir kommen oder nicht? Das ist das letzte Mal, dass ich dir die Wahl lasse. Entscheide dich! Für oder gegen mich!«
»Ich habe meine Entscheidung schon getroffen«, antwortete Helen mit zitternder Stimme, als ob jedes Wort ihr Schmerzen bereitete. Sie blickte erst uns und dann ihre Mutter an. »Ich habe mich für meine Freunde entschieden. Ich wähle meine Freiheit … nein zu dir zu sagen.« Es brach mir fast das Herz, sie so zu sehen, so zerbrechlich und ungeschützt und doch so mutig.
»Du hast die Verliererseite gewählt! Du hast Untergang und Verzweiflung gewählt!« Ein Wutanfall riss die Maske der Güte von Mrs Hartles Gesicht und enthüllte wieder ihr entstelltes mumifiziertes Gesicht. »So sei es! Von diesem Moment an bist du ein Niemand für mich.«
»Und du für mich«, erwiderte Helen, ihr Gesicht schien zu Stein erstarrt. »Wir werden dir niemals untertan sein, und du wirst für immer in deinem selbst gewählten Elend gefangen sein! Wir haben uns nichts mehr zu sagen. Mach Platz, und lass uns gehen!«
»Meinst du etwa, du könntest mich einfach wegschicken und kommen und gehen, wie es dir gefällt?« Mrs Hartles Ton war jetzt schrill. »Wie kannst du es wagen!« Sie stieß Helen von sich, die neben mir zu Boden stürzte. Dann lachte sie dröhnend laut, wutverzerrt und grausig. »Ich werde nicht zulassen, dass einer von euch flieht, nicht einmal durch das Tor des Todes. Ihr werdet hierbleiben, hier an dem unsichtbaren Ort unter der Erde, und alle eure Kräfte werden mir dienen!«
Mrs Hartle schien sich in unsere Gedanken zu schleichen und mental zwischen uns hin- und herzupendeln. Dabei versuchte sie, unsere Stärken und Schwächen auszuloten und jedes Geheimnis tief in uns zu ergründen. »Willkommen, Schwester«, sagte sie zu Evie, »du schenkst mir die
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