Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
Ginster (German Edition)

Ginster (German Edition)

Titel: Ginster (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Siegfried Kracauer
Vom Netzwerk:
sagte er, um Elfriede auf sich zu lenken, »er ist aber auch in den übrigen Pflanzen bewandert.«
    Sie sprang davon, warum, wußte er nicht, vielleicht rein aus Jugendfrohmut. Auf alle Fälle sprang er ihr nach. So oft er sie einfangen wollte, entschlüpfte sie schnell, eigentlich hatte er sich den ganzen Vorgang weniger anstrengend gedacht. Beim Einfangen zauderte er freilich stets. Die Landschaft lag unter einer Mattscheibe, die sie trübte, und strahlte höchstens für den, der sich in ihr befand. Er selbst glaubte durch eine Scheibe auf sie zu blicken. Im Wald, den sie jetzt erreichten, gab es zum Glück nur Bäume, die ihrer Größe wegen für Elfriede ungeeignet waren. Sie deutete auf einen lichten Fleck: »Sehen Sie die Tannenkinderstube.« Mit der Möglichkeit einer Schonung hatte er gar nicht gerechnet. Das Waldinnere war in Tupfen aufgelöst, die über Elfriede wegspielten, deren Kleid ebenfalls getupft war. Wäre ein gesprenkeltes Einhorn erschienen, so hätte es Ginster nicht weiter in Erstaunen versetzt. »Elfriede«, tupfte er vor sich hin. Es war ihm in der Hitze echt zärtlich zumute, und er wandte unwillkürlich die Zärtlichkeit auf das Mädchen neben ihm an, das aus einer Häufung von Kringeln bestand. Als er Elfriede zu umschlingen versuchte, zitterten die Kringel und stoben körperlos auseinander. Solche Kringel wurden auch häufig als Tapetenmuster benutzt. Vor ihm weinte Elfriede in sich hinein. Mitten auf einem kreisrunden Waldplatz blieb sie stehen und bebte stumm fort. Der Platz war rings mit leeren Bänken umgeben. »Im Sitzen ist es bequemer«, meinte Ginster, um etwas zu sagen. Er schämte sich nachträglich seiner Kühnheit, die ihn ein wenig mit Stolz erfüllte, und hätte sich gern aus dem Wald gestohlen. Elfriede verlangte ihr Batiktuch, dessen Gräser wie Schilf über ihr zusammenwuchsen. Von den verschiedenen Bänken aus mochten sich bei besetztem Wald die Leute gegenseitig betrachten. Wie aus dem Schilf allmählich herauskringelte, war Elfriede vor einigen Jahren von einem Freund verlassen worden, der eine andere geheiratet hatte. Ob der Freund sie richtig verführt habe, scheute sich Ginster zu fragen. Rechtzeitig fiel ihm Mimi ein, deren Verhalten ihm gegenüber als Trost zu gebrauchen war. Früher hatte er allerdings mit der Beziehung immer nur in umgekehrtem Sinne geprahlt.
    »Ich wünschte, ich hätte ein Schneckenhäuschen in der Heide«, fing Elfriede auf dem Rückweg an, »ganz klein müßte es sein, und niemand außer meinem Mütterchen dürfte darin wohnen.«
    »Soll ich es bauen?«
    Ein Heimatpastell. Dabei hatten schon die Villen vorhin Ginster durchaus nicht gepaßt. Elfriede faßte ihn bei der Hand und begann, Liedchen zu singen. Ihre Verlassenheit war zu Ende. Völlig verwandelt, so munter, die Haare zerzaust. Obwohl der Wald längst hinter ihnen lag, wurde durch das Erlebnis die ganze Aussicht verdunkelt.
    »Es ist Frühling, und man hat doch Sehnsucht«, seufzte Elfriede.
    Ginster vernahm nur das Wort Frühling.
    »Seit einigen Tagen ist die große Frühjahrsoffensive im Gang«, entgegnete er, »sicher haben Sie auch die Schlachten gelesen. Ich bin froh, daß die Tagesberichte nicht mehr Nichts Neues enthalten. Die Offensive war schon im vorigen Winter geplant. Merkwürdig genug, daß die Kriege immer noch von den Jahreszeiten abhängen. Vielleicht bringt die Offensive …«
    »Ich will nichts wissen vom Krieg, bitte, bitte, seien Sie still.«
    Elfriede bedeckte mit ihren Händen die Schnecken. So hübsche Blätterteighäuschen im Schatten. Sie kreuzten die Schienenstränge. »Hier blüht bald der Ginster«, sagte Elfriede und wies auf die Böschung. An seinen eigenen Namen hätte Ginster niemals gedacht. Es freute ihn, daß der Ginster die Schienen begleitete, die sich gradaus entfernten. Am liebsten hätte auch er zu beiden Seiten des Bahndamms geblüht.
    Bei der Rückkunft fand Ginster in seinem Zimmer ein Telegramm: der Onkel schwer erkrankt, sofortiges Kommen erwünscht. – – –
    »Es geht ihm heute viel besser«, sagte die Tante, als Ginster gegen Mittag die Wohnung betrat. »Seid leise«, mahnte die Mutter, »vielleicht kann er schlafen.« Sie war nebenan im Schlafzimmer gewesen und bestätigte die Besserung. Auf ihrer einen Backe stand ein Blutströpfchen, offenbar hatte sie sich gerade gekratzt. Auch störten Ginster ihre etwas aufgesprungenen Lippen. Es schellte, die Tante verschwand durch die angelehnte Tür. Der feine Schellenton, der nicht mit dem

Weitere Kostenlose Bücher