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Ginster (German Edition)

Ginster (German Edition)

Titel: Ginster (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Siegfried Kracauer
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Apparat in die Ruhelage zurück, nicht ohne hie und da aufzuzucken, wenn von weitem ein Rock sich zeigte, der als Uniform hätte ausgedeutet werden können. Die Künstlichkeit der Systeme schloß Irrtümer nie aus. Um den Arm still zu legen, lenkte Ginster zum Hafen. In dem Hafen liefen statt der Uniformen Schiffe ein, die ihre Kohlen entluden. Ginster liebte den Hafen wegen der Ungemütlichkeit der Fabriken und des Zweckverkehrs auf dem Wasser, das Ruderregatten nur schmückten. Nichts wurzelte hier außer den Kranen; während überall sonst die Leute sich aufhielten.Da Otto das Grüne vorzog, gingen sie in den Stadtwald, eine wohlfeile Volksausgabe ursprünglicher Wälder, in der Weiher und Zeitungspapiere lagen. Gegen Cafés hatte Otto eine Abneigung, die mit seinen langen Perioden zusammenhing. Beherrschte ihn unter den Bäumen auch weniger das System, so ließ sich doch die Uniform nicht entfernen, in der er auf Miete wohnte. Das an ihr befestigte Seitengewehr hatte ihm der Hausherr hinterlassen; es gehörte zur Wohnung. Ginster wurde sich bewußt, daß er selbst einen Zivilanzug trug. Der Gedanke, daß ein Seitengewehr sich mit einem solchen Anzug einlassen könnte, berührte ihn komisch. Otto erzählte vom Militär; nächstens kämen sie zur letzten Vollendung in die Etappe. Er trieb eine Herde von Ausdrücken vor sich her, die ihm mit der Uniform zugelaufen war und eine Wolke erzeugte, in der er Ginsters Zivil nicht bemerkte. Das Wasser eines Weihers, an dem sie niedersaßen, wurde von einer grünen Moosschicht erstickt. Die Uniform erhob sich wie ein Denkmal über der vernachlässigten Fläche, aus der die Frösche schrien. Der Onkel hätte sich mit dem Seitengewehr gefreut, dessen Beziehung zu Otto sich Ginster nicht vorzustellen vermochte. Immer noch sah er Ottos Hände auf dem Klavier. Wenn sie jetzt den Metallgriff umklammern mußten, würden sie immer gröber werden, Hände mit harten Fingerspitzen, vor denen er sich nicht zu zeigen wagte. Er verbarg sich hinter dem Onkel. Das Stück Land im Osten ist besetzt, ein Befreiungskrieg, der einzelne hat in der Gesamtheit unterzugehen – alles, was der Onkel gesagt hatte, wiederholte er nun, der Hände wegen, er durfte nicht reden. Stimmte Otto dem Onkel bei, so war er selbst gerichtet. Das Urteil des Onkels mochte umgestoßen werden, die von Otto gefällte Entscheidung erging in letzter Instanz. »Ich bin überrascht«,sagte Otto, »daß du dich der üblichen Meinung anzuschließen scheinst.« Er war überrascht, er bestritt die übliche Meinung. Wie konnte Ginster nur den patriotischen Reden trauen, man mußte skeptisch sein, Otto war skeptisch. Nichts nahm er hin: weder die gerechte Sache noch den besetzten Osten, noch die Begeisterung unter der Jugend. Vielleicht stellte sich alles später als Schwindel heraus. In dem Bedürfnis, sich preiszugeben, fragte ihn Ginster, ob er die Tatsache wegleugnen wolle, daß sich Hunderttausende freiwillig gemeldet hätten. Aber gewiß nicht aus Patriotismus, war die Antwort. Die jungen Leute, vor allem die Studenten, machen mit, weil sie an den Universitäten im Spezialistentum verkommen und nun endlich einmal ein Ziel zu gewahren glauben, dem sie als ganze Menschen sich widmen dürfen; oder weil sie aus der richtungslosen Freiheit heraus sich nach Zucht und Gehorsam sehnen. Im übrigen stecken sie sich gegenseitig an, und nur die wenigsten wissen, wofür sie eigentlich kämpfen. Auch jetzt, im Eifer, verwickelte Otto sich nicht in seinen Konstruktionen, er war der Otto von früher, der sich in die Platonischen Dialoge einbohrte und Entstehungszeiten erforschte. Ginster hatte sich öfters umgedreht, weil ihn das fremde Aussehen beschäftigte, das ein Weg annahm, wenn er in der entgegengesetzten Richtung beschritten wurde. Der Weg verwandelte sich, die Gegenden, durch die man gekommen war, erschienen als Bilder. Sie hielten bei der Heimkehr an einem Punkt, von dem aus man die Stadt überblickte. Vorhin hatten sie die Stadt nicht bemerkt, nur Bäume.
    »Ja, aber das Seitengewehr«, sagte Ginster. Er hätte sich durch Ottos Angriff gegen seine Scheinhaltung entlastet gefühlt, wäre nicht das Seitengewehr gewesen.
    »Der Krieg ist möglicherweise in einem halben Jahr zuEnde«, erklärte Otto, »und ich müßte mir Vorwürfe machen, wenn ich mich nicht beteiligt hätte.«
    Ginster wußte nicht, was ihm vorzuwerfen gewesen wäre. Vielleicht ein Mangel an Gründlichkeit – Kriege waren selten wie Handschriftenfunde, deren

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