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Ginster (German Edition)

Ginster (German Edition)

Titel: Ginster (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Siegfried Kracauer
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Studium man nicht versäumen durfte, wenn sie sich einmal boten. Er erinnerte sich an den Abend, an dem Otto unter die Menschen gedrängt hatte, nach dem Leben – die Leute schwärmten vom Leben, jetzt fanden sie es im Krieg. Sie liefen ihm wie einem Droschkengaul zu, der ausgeglitten war. Das Tier lag am Boden, und sie starrten darauf. Während sie starrten, beschäftigten sie sich damit zu leben, von ihrem Körper getrennt mit verlorenen Augen, man hätte sie stoßen können, ohne daß sie es merkten. Stundenlang sprachen sie von dem Gaul, wie er lag.
    »Es ist noch etwas anderes dabei«, begann Otto wieder, »sieh, ich bin ein junger kräftiger Mensch, und wenn ich zu Hause bliebe, solange die andern draußen im Feld … ich könnte es nicht ertragen. Was habe ich vor ihnen voraus, daß gerade ich geschont werden soll. Ich bin ganz begabt, gewiß, aber es reicht nicht zu Großem, das weiß ich genau, und am Ende werde ich Lehrer wie viele, heirate und bekomme die üblichen Kinder und meine Pension. Nein, ich mußte mich melden, sonst hätte ich mich vor mir selbst geschämt. Meine Eltern tun mir leid, doch ich bereue nicht meinen Entschluß.«
    Sie kamen an Gemüsegärten vorbei, in denen Vogelscheuchen die Arme hoben. Gemüse waren in Kriegen unentbehrlich, alle dachten an ihre Ernährung.
    »Von wegen schief«, sagte Ginster.
    Er verabscheute Rotkraut und Gelberüben, die ihm gerade darum zu Hause als moralische Gemüse aufgenötigt worden waren. Ein junger kräftiger Mensch – ich könntees nicht ertragen –: die Worte richteten sich auf, standen riesengroß, nichts außer ihnen war mehr vorhanden. Unter ihrer Hut durfte Otto sichtbar erscheinen. Der Krieg förderte auch die Gesundheit, vermutlich kam Otto quadratisch zurück. Schon wegen der Heimkehr später war eine Teilnahme erwünscht, die Uniformen triumphierten dann wie Eispickel im Tal. Kleinlaut bekannte Ginster seine freiwillige Meldung und behauptete, sie wiederholen zu wollen. Otto riet ab, nicht ohne Selbstbewußtsein; daheim wurden auch Leute gebraucht. »Du kommst vielleicht noch an die Reihe«, tröstete er, als sei die Aussicht ein Trost. In der Stadt ging der Arm wieder auf und ab wie in den Gemüsegärten; Privatpersonen war der Zutritt verboten. Nicht zufrieden mit dem obenhin ausgesprochenen Verzicht auf seinen sofortigen Beitritt zum Militär, redete Ginster auf Otto ein, der nur in langen Abständen anwesend war. Er wollte von ihm das Zugeständnis erpressen, daß eine Beteiligung am Krieg überhaupt abzulehnen sei. »Man müßte die Gründe kennen«, sagte er zwischen zwei höheren Uniformen, die sich auf schwierige Weise kreuzten. »Du hast doch vorhin selbst die öffentlich angegebenen Gründe bezweifelt«, fuhr er fort. Die eine Uniform kam ihnen auf der rechten Seite entgegen, während die andere sie gerade von links überholte. »Wenn ich die Gründe nicht kenne …«, fing Ginster wieder an. – »Du und ich, wir können beide die Gründe nicht ermessen«, erwiderte Otto. Die Gründe waren für ihn eine Störung. »Es ist mir, unabhängig von den Gründen, eine Notwendigkeit gewesen, mich zu melden«, versicherte er noch. Ginster wußte, daß auch er die Gründe nicht zu erkennen vermochte. Hätte er Gründe gefunden, so wären es nicht die gesuchten gewesen. Das Handeln von ihnen abhängig zu machen, war verkehrt, denn jederGrund hatte wieder seinen Gegengrund, wie eine Wand starrten sie ihm alle entgegen, unmöglich, nach außen zu schlüpfen. Es dunkelte, die Lichter gingen an. Von außen gesehen, bildeten sie wie stets ihr Mosaik aus leuchtenden Pünktchen, dieses Mosaik, über dem Ginster vergaß, daß es die eigentliche Aufgabe der Pünktchen war, in den Stuben zu scheinen. Man hatte ihn zu den übrigen in eine große Stube gesperrt, und außen glänzte das Mosaik. Ein Märchen fiel ihm ein, das er liebte, das Märchen von einem Mann, der mit einem Reisegefährten durch die Welt zieht. Der Gefährte ist in Wahrheit ein Engel. Sie übernachten in einem Haus, in dem sie gastfreundlich aufgenommen werden. Zum Dank legt der Begleiter anderen Tages Feuer an das Haus. Sie werden von einem bösen Menschen vor die Tür gewiesen: der Begleiter beschenkt ihn mit Geld. Empört will der Mann sich abwenden, doch der Reisegenosse klärt ihn über seine Kurzsichtigkeit auf. Das Feuer wurde angelegt, um den Ausbruch der Pest zu verhindern, und das Geld gespendet, weil es dem Bösewicht zum Verderben gereicht. Ginster brachte Otto nach

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