Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
Ginster (German Edition)

Ginster (German Edition)

Titel: Ginster (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Siegfried Kracauer
Vom Netzwerk:
nicht, daß es sich um Aufträge handelte, so lautlos schlichen sie an; wie Patrouillen. Brummend gab ihm Herr Valentin ein rot koloriertes Grundstückplänchen, das er mit anderen Sachen aus der Tasche zog, als sei es zufällig in sie hineingeraten und solle lediglich darum bearbeitet werden, weil es gerade vorhanden war. Erst Tage danach erfuhr Ginster, daß ein Fabrikerweiterungsbau auf dem Grundstück beabsichtigt sei. Es gehörte einem Herrn Beilstein, der seine Lederfabrik auf den Krieg umstellen wollte: Militärstiefel statt der ehemaligen Zivilschuhe, die keinen Absatz mehr fanden. Zum Glück zerrissen die Soldaten immer wieder ihre Stiefel. Beilstein war ein Schulfreund von Herrn Valentin, wie dieser bei Gelegenheit einfließen ließ. Zu Gesicht bekam ihn Ginster nie. Einmal mußte er in die Lederfabrik, um Erkundigungen über das Grundstück einzuziehen, wurde aber nicht von Herrn Beilstein, sondern nur von einem Angestellten empfangen. Im Hof stand das Privatauto des Fabrikanten. Die Tatsache, daß er ein Schulfreund war, setzte Ginster um so mehr in Erstaunen, als er selbst sich kaum noch seiner Mitschüler zu erinnern vermochte. Überdies wurde Herr Valentin mitunter persönlich von dem Auto abgeholt – ein unmittelbarer Verkehr von Chef zu Chef. Vor dem Einsteigen zündete er sich stets eine Zigarre an. Lieber benutzte er freilich die Trambahn, weil er sich nicht zu groß erscheinen wollte. Ginster sah ihn öfters auf der hinteren Plattform stehen, eine Rolle unter dem Arm, die ihn als Architekten bekannt gab, und volkstümlich alle Grüße erwidernd, mit denen ihn die Handwerker bedachten. In der Korrespondenz redete er den Schulfreund mit Herrn Beilstein an, ohne das intime Du zu verwenden, auf das er ihm gegenüber ein Anrecht hatte. Er unterschied zwischen sich als dem Freund und dem Geschäftsmann, der für einen Bauherrn namens Beilstein Pläne entwarf. Auch eine kleine Maschinenfabrik trat ungefähr um dieselbe Zeit in Unterhandlungen mit Herrn Valentin ein. Sie wollte sich der Produktion von Granaten widmen, deren das Heer für die in den Tagesberichten aufgezählten Schlachten bedurfte. Es überraschte Ginster gar nicht mehr, daß ihr Direktor Baum ebenfalls mit Herrn Valentin in die Schule gegangen war. In Valentins Interesse schienen alle Schulfreunde Fabrikanten geworden zusein. Solange er die Läden umbaute, überließ er ihre Geschäfte sich selber. Wenn er dann auf dem Trockenen saß, mußten sie einfach die Fabriken erweitern. Einer nach dem andern tauchten sie auf wie die Zimmer in seiner Wohnung. Während aber die Beziehungen zu Beilstein die Öffentlichkeit des Büros nicht zu scheuen brauchten, konnte Direktor Baum nur dem Hinterzimmer zugerechnet werden – wenigstens fuhr Herr Valentin manchmal im Mietauto zu ihm und kam dann besonders angegriffen zurück. Die Verhandlungen hatten offenbar ihren Stillstand erreicht. Eine Woche lang hielt er sich häufiger in der Wohnung auf, immer zwischen Schreibkammer und Büro; zum Unbehagen Uhrichs, dessen Monologe er störte. Vielleicht waren keine Granaten geplatzt und die Fabrik blieb ungebaut. Als zuletzt der Auftrag doch bestätigt wurde, verkürzte sich zwar Herr Valentin noch mehr als sonst infolge Erschöpfung, ging aber zugleich in die Breite, weil er durch den Auftrag einen Sieg über den Bautechniker Neumann errungen zu haben glaubte. Vorderhand war es mit der Beschäftigung dieser beiden Schulfreunde genug. Ein dritter, dessen er auch Erwähnung tat, hatte sich bereits von seinem Beruf zurückgezogen und lebte auf dem Land in einer von Herrn Valentin errichteten Villa, der Berta nachsagte, daß sie ein Dorado sei, Ginster wisse schon, was sie meine. Er schien für den äußersten Notfall aufgespart zu werden und stimmte insofern mit dem verschlossenen Zimmer überein.
    Da Ginster es nur bis zur Garnisondienstmöglichkeit gebracht hatte, bestand Aussicht auf seine Reklamation; sie wurde zudem noch durch die militärischen Zwecke der neuen Bauten erleichtert. Sowohl Leder wie Granaten waren Heeresbedarf, freilich wurde zum Unterschied von diesen, die als dringendst galten, jenes lediglich fürdringend erachtet. Die Soldaten konnten zur Not auch ohne Stiefel Granaten verschießen. Schön fand Ginster den Superlativ dringendst nicht, aber es befriedigte ihn doch, mittelbar unter ihn eingereiht zu sein. Obwohl er nach außen hin noch die gleichen Privatgespräche führte wie früher, hing er jetzt unsichtbar mit den Heeren zusammen. Das

Weitere Kostenlose Bücher