Girl
schließlich nur noch wenige Millimeter von seiner Brust entfernt waren.
Als der Song zu Ende war, traten wir einen Schritt zurück und applaudierten uns gegenseitig.
»Sie tanzen ausgezeichnet«, sagte er.
»Sie sind aber auch nicht schlecht.«
Als nächstes lief ›A Whiter Shader of Pale*. Waren die beiden davor schon ziemlich angestaubt, so war das jetzt echte Leichenfledderei, die Art von Musik, wie Mum und Dad sie gerne hörten. Aber Jonathan schien das nichts auszumachen. Er trat auf mich zu und legte mir seine Hände um die Taille.
Da hatten wir den Salat! Genau davor hatte ich mich die ganze Zeit gefürchtet – dass er einen langsamen Tanz mit mir wollte und ich nicht den leisesten Schimmer hatte, was ich tun sollte. Zuerst einmal, wohin legen Frauen ihre Arme? Ich überlegte fieberhaft… etwa um die Schultern des Partners? Oder um die Hüfte? Nein … das würde ein heilloses Durcheinander geben… Ich war mit meinem Latein am Ende – jenseits der Grenzen meines Trainings.
Als ich Jonathans Hände hinten im Kreuz spürte, versteifte ich mich. Er hielt inne und blickte mich verwirrt an, als habe er etwas falsch gemacht. Ich lächelte ihn nervös an, um Zeit zu gewinnen, während ich die anderen Paare auf der Tanzfläche überflog.
Die anderen Mädchen beherrschten ihre Aufgabe wie im Schlaf, indem sie ihre Hände entweder auf den Schultern des Mannes liegen hatten oder sie hinter seinem Nacken kreisen ließen. Ihre Körper schienen sich dem ihres Partners genau anzupassen, und sie alle blickten mit bewunderndem Nancy-Reagan-Blick in seine Augen.
Da die Hälfte der Mädchen ihre Freier um ein gutes Stück überragten, mussten sie zwangsläufig soweit heruntergehen, dass sie praktisch auf dem Boden knieten. Zumindest darüber brauchte ich mir keine Gedanken zu machen. Ich legte nur leicht meinen Kopf nach hinten und blickte in Jonathans Augen.
Nicht weniger aufregend war die Art, wie meine bloßen Arme und Schultern den Stoff seines Anzugs berührten. Während Lorraine und ich auf das Taxi gewartet hatten, war ein Trupp Kerle pfeifend und obszöne Sprüche klopfend auf der anderen Straßenseite vorbeigezogen. In dem Moment war es sehr unangenehm gewesen, den Körper soweit entblößt und den Rest gerade einmal mit einem hauchdünnen Seidenstoff bedeckt zu haben. Jetzt aber, während ich mich leicht in den Armen eines attraktiven Mannes wiegte, gab mir die gleiche Entblößung ein Gefühl von Stärke.
Ich überlegte, wie weit man auf der Tanzfläche des Annabel’s gehen durfte, als ich spürte, wie er eine seiner Hände von der Taille auf meinen Po gleiten ließ und mich enger an sich drückte. Während unsere Körper sich aneinanderpressten, spürte ich etwas Hartes an meinem Unterleib. Er hatte eine Erektion.
Ich lächelte ihn triumphierend an. Er wollte mich. Er empfand mich als begehrenswert, als feminin. Und ich hatte darüber zu entscheiden, ob er seine Begierde befriedigen durfte oder nicht.
Keine Sorge, dachte ich im Stillen, du kannst mich jederzeit haben, wenn du nur artig darum bittest.
Doch schon eine Sekunde später war ich angewidert und zutiefst erschrocken über diesen Gedanken. Jonathan war ein Mann. Acht Monate zuvor war ich selbst ein Mann gewesen – und war es vielleicht immer noch. Und da wünschte ich mir, mit einem Mann ins Bett zu gehen? Konnte ich mich denn so radikal und so schnell verändert haben?
Ich habe keine Antwort auf diese Frage, bis auf die Gewissheit, dass ich mich zweifellos verändert habe. Ich weiß aber auch, dass ich noch einen weiten Weg vor mir habe und dass es mir vielleicht nie gelingen wird, mein altes Leben ganz abzustreifen, selbst wenn ich das will. Aber Dinge, die mir früher künstlich vorgekommen waren und mir sogar Angst gemacht hatten, werden nach und nach immer natürlicher für mich.
Als das Stück zu Ende war, gingen wir zurück an unseren Tisch. Er hielt mich wie zuvor auf dem Weg zur Tanzfläche, nur lag jetzt etwas Besitzergreifendes in seinem Griff, und ich drängte mich fester an ihn.
Lorraine bemerkte offensichtlich den Unterschied auf Anhieb. Wir waren noch einige Meter vom Tisch entfernt, als ich sie bereits triumphale Blicke in meine Richtung werfen sah. Ich ließ mich neben ihr auf die Bank sinken, und sie stieß mir unter der Tischplatte freundschaftlich gegen den Oberschenkel. »Gut gemacht!« flüsterte sie.
Bald darauf war es Zeit zum Aufbruch. Es war bereits nach eins, und die beiden Männer hatten Frühstückstermine
Weitere Kostenlose Bücher