Girl
noch bei einem dieser Londoner Großunternehmen anrufen und dich um einen Job bewerben. Du könntest im Handumdrehen viel Geld machen – ein schicker Wagen, teuer essen gehen, Designer-Klamotten – weißt du, du könntest wirklich attraktiv aussehen, wenn du nicht im Secondhandshop einkaufen würdest.«
Sie lachte, nahm ihre Hand vom Gangknüppel und gab mir einen Klaps hinters Ohr. »Du magst dich zwar auf dem besten Weg befinden, von meinem kleinen Bruder zu meiner kleinen Schwester zu werden, aber glaube bloß nicht, dass ich dir so was bloß aus weiblicher Solidarität durchgehen lasse. Und jetzt, mach dich bitte nützlich. Wie kommen wir am schnellsten nach Hause?«
»Am letzten Arbeitstag vor Weihnachten ist sowieso alles dicht. Zur M4O ist es näher als zur Mi, versuch’s damit.«
Natürlich war es genauso schlimm, wie ich prophezeit hatte. Um zehn Uhr morgens hatte ich das Krankenhaus verlassen. Es dauerte geschlagene zwei Stunden, bis wir auf die Autobahn und aus London raus kamen, und die ganze Strecke bis hinter Oxford blieb der Verkehr zähflüssig. Als wir hinter Bicester an einer Raststätte vorbeikamen, musste Kate tanken, und ich hatte Kohldampf. Also fuhren wir raus.
Die Bullen hatten mir meine Jacke zurückgegeben, nachdem Jonathan Petersham von weiteren rechtlichen Schritten Abstand genommen hatte. Solange ich in der Jacke steckte, hätte jeder mich für völlig normal gehalten. Während wir beim Essen saßen, stellte ich Kate die gleiche Frage, die ich bereits Dr. Fielden gestellt hatte: »Was, meinst du, wird sich für mich ändern, wenn ich … na ja, wenn ich mein Geschlecht wechsle?«
»Alles wird sich ändern«, sagte sie. »Nur so als Beispiel: Wir sind hier reingegangen, ein Mann und eine Frau, niemand nimmt von uns Notiz. Aber ich verspreche dir, wären wir zwei Frauen, es hätte Blicke gegeben, Typen würden uns anquatschen, blöde Bemerkungen machen und so weiter.«
»Mal halblang. Auf einer Autobahnraststätte soll man angemacht werden? Totaler Blödsinn. Es ist helllichter Tag, und überhaupt, hat dir jemals eine erzählt, sie wäre in einem Happy-Eater abgeschleppt worden?«
»Ich sage ja nicht, dass es gleich so dicke kommen muss«, sagte sie. »Bloß nervig kann es werden. Beispielsweise… siehst du die beiden Typen da drüben?« Sie wies auf zwei Kerle in Jeans und Lederjacken, die mit ihren Tabletts in der Gegend herumstanden und nach einem Sitzplatz Ausschau hielten.
Ich nickte.
»Also, die suchen nach einem Sitzplatz«, sagte Kate, »und bei uns am Tisch sind zwei Plätze frei. Aber sie haben gesehen, dass wir zusammengehören. Sie werden mich für deine Freundin oder deine Frau halten, und einem anderen Kerl wollen sie nicht ins Gehege kommen. Also werden sie erst gar nicht danach fragen, ob sie sich zu uns setzen können, es sei denn, es wäre nirgendwo mehr was frei.
Wären wir aber zwei Frauen, wären sie ruckzuck bei uns am Tisch. Sie würden sich vermutlich nicht einmal groß was dabei denken, und der eine sieht ja gar nicht mal so übel aus – der linke von ihnen, mit der Brille, wenn es dich interessiert –, aber sie würden`s trotzdem machen, nur um uns anzuquatschen und so.«
»Und was, bitteschön, ist daran so verwerflich?« fragte ich. »Wenn der eine so gut aussieht?«
»Nichts«, sagte Kate. »Jedenfalls nicht grundsätzlich. Es kann sogar sehr unterhaltsam sein. Ein paar Scherze, ein unverfänglicher Flirt, manchmal rettet einem so etwas den ganzen Tag. Aber meistens, das lass dir von mir gesagt sein, geht es einem schwer auf den Wecker. Da sitzt man da und will einfach nur in Ruhe essen, oder was trinken, oder ein Buch lesen, und die Männer lassen einen einfach nicht. Gerade so, als gingen sie wie selbstverständlich davon aus, eine Frau könne nur dann wirklich zufrieden sein, wenn ihr irgend so ein Affe seine Aufwartung macht.«
Während der restlichen Mahlzeit und fast die ganze Fahrt nach Birmingham über redete Kate davon, was passieren wurde, sobald ich mich meiner Umwelt nicht länger als Mann, sondern als Frau präsentieren würde. Ihre Ausführungen unterstrichen nur noch einmal, was ich bereits bei dem Treffen in Mandelsons Praxis erfahren hatte. »Du magst dich vielleicht genau wie vorher fühlen«, sagte sie. »Aber das zählt nicht. Die Leute werden dich behandeln, als wärst du jemand ganz anderes.«
Offen gesagt, ich war mir gar nicht so sicher, ob ich mich wie früher fühlen würde. Es war schwer zu sagen. Ich hatte zwar
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