Girl
sitzt das stramm. Da steht ja alles meterweit raus.«
»Natürlich«, sagte sie. »Soll es doch auch. Ein Blick auf den Vorbau, und keiner wird sich mehr groß für den Rest interessieren. So, und jetzt steckst du es unten in deine Jeans, und dann ziehst du sie hoch und versuchst, den Gürtel so eng wie möglich zu schnallen. Wollen doch mal sehen, ob wir dir nicht zu ein wenig Taille verhelfen können.«
»So krieg ich doch keinen Bissen mehr runter.«
»Bissen? Wer redet denn hier vom Essen? O nein, für dich gibt’s eine Tasse Tee ohne Zucker, und wenn du Glück hast, noch einen Keks dazu. Du bist jetzt auf Diät gesetzt, wie wir alle. Frauen müssen für ihre Schönheit leiden.«
Das war aus Kates Mund ziemlich dick aufgetragen. Ihr Bücherbord zu Hause war vollgestopft mit Büchern, in denen Diäten, Make-up und all das Zeug als Verschwörungen des Patriarchats gebrandmarkt wurden, mit denen der Vormarsch der Frauen aufgehalten werden sollte. Aber genau das gefiel ihr: ihren kleinen Bruder mit diesem ganzen Mumpitz vollzustopfen, gegen den sie seit jähren Sturm lief.
»Also«, sagte sie, »wir gehen folgendermaßen vor …«
Zehn Minuten später war ich startklar. Sie hatte eine Cremetube ausgepackt, die so aussah, als sei sie seit den Tagen, als Michael Jackson noch schwarz war, nicht mehr benutzt worden, und hatte mir eine dicke Schicht Make-up übers ganze Gesicht geschmiert, damit von meinen Bartstoppeln nichts mehr zu sehen war. Dann bat sie mich, den Mund weit zu öffnen, wie ein schwachsinniger Fisch, während sie meine Lippen mit einem pinkfarbenen Lippenstift nachzog. Sie fühlten sich wie mit Wachs überzogen an, und ein leicht süßlicher Geruch stieg mir in die Nase.
Dann setzte sie mir den Hut auf, der meine Frisur verdecken sollte. Er sah aus wie eine Art aufgegangener Hefeklumpen, mit einer schlabbrigen, wippenden Krempe – ich weiß nicht, wie man so ein Teil nennt. Danach setzte sie mir ihre Sonnenbrille auf die Nase, so dass meine Augen verdeckt waren, und schließlich, sozusagen als Krönung, bestand sie darauf, mir zwTei falsche Perlohrringe ans Ohr zu klippsen.
Die waren das Schlimmste. Sie zwickten mir ununterbrochen ins Ohrläppchen. Sie waren einfach nur nervig und taten weh. Aber Kate ließ mich sie nicht wieder abnehmen.
»Es geht nicht ohne«, sagte sie. »Das gehört zur Standardausrüstung. Alle Frauen tragen Ohrringe, ganz egal, ob es sich um Prinzessin Di oder ein radikal-autonomes Lesbenpaar handelt, das zu mir in die Beratungsstelle kommt, um sich über das Adoptionsrecht zu informieren. Alle tragen Ohrringe. Ach ja, noch was …«
Und sie griff in ihre Tasche, zog eine Parfümflasche hervor und sprühte mich ein. »So, jetzt riechst du auch richtig.«
Nachdem sich der Nebel verzogen hatte, lehnte sie sich in ihrem Sitz zurück und begutachtete ihr Werk. »Weißt du, auch wenn ich das eigentlich nicht sagen dürfte, aber du siehst wirklich nicht schlecht aus. Ich meine, noch kannst du Kate Moss keine schlaflosen Nächte bereiten, aber … Hier. Sieh dich an.«
Sie drehte den Rückspiegel zu mir, und ich blickte hinein. Der Schock war noch Größer als bei Dr. Mandelsons Computersimulation auf dem Bildschirm. Das waren bloß technische Spielereien gewesen. Man konnte damit sogar Frankenstein in Kylie Minogue verwandeln, wenn man die nötige Ausdauer hatte. Aber das hier war ein echtes Gesicht. Und auch wenn es nicht im entferntesten so attraktiv war wie das Gesicht auf dem Computerschirm, so hätte ich es doch, wenn es mir auf der Straße begegnet wäre, sofort für das einer Frau gehalten, insbesondere, wenn sich noch zusätzlich so prächtige Titten unübersehbar in mein Gesichtsfeld geschoben hätten.
»Also los«, sagte Kate. »Attacke.«
Wir stiegen aus und liefen über die asphaltierte Parkfläche zum Haupteingang. Ich war noch keine zehn Schritte weit gekommen, als Kate mir ins Ohr zischte: »Die Hände! Nimm sofort die Hände aus den Taschen.«
Ich war mir nicht einmal bewusst, sie dort zu haben, es war rein automatisch. Damit stand ich vor einem neuen Problem. »Was soll ich mit ihnen machen?« flüsterte ich zurück.
»Lass sie einfach nur baumeln. Oder verschränk sie vor der Brust, das gibt dir zusätzlich Halt.«
Ich folgte ihrem Ratschlag und fühlte mich in der Tat besser und wärmer. Über den Parkplatz fegte ein eisiger Wind, und nur mit Kates dünnem Top am Leib hätte ich wie ein Schneider gefroren.
Wir kamen zum Eingang und traten ein.
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