Girlfriend in a Coma
einer Schulaufführung »Oklahoma« gesungen hatte. »Sie war ein hübsches Mädchen, was, Richard?“
»Das ist sie immer noch, George.«
»Weißt du noch, wie sie auf der Feier zu unserem Hochzeitstag Gitarre gespielt hat?“
»Ja.«
»So ein hübsches Mädchen.« Dann pflegte er zu seufzen und eine Melodie aus Oklahoma zu singen: »When I take you out tonight with me - honey this is what you're going to see —«
»Wie läuft das Geschäft?« fragte ich um diesem Moment der Rührseligkeit ein Ende zu machen.
Lois hingegen war, auch wenn sie Karen noch nicht ganz als tot abgeschrieben hatte, mit Sicherheit die Pragmatischere der beiden. Sie hatte Statistiken über Komapatienten und den persistierenden vegetativen Zustand gelesen. Sie wußte, daß die Chance eines Wiedererwachens mit jedem weiteren Tag dem absoluten Nullpunkt ein Stückchen näherrückte. Zu Beginn der Schwangerschaft war Lois zu mir kaum einen Hauch freundlicher als zu einem Samenspender, aber dann wurde ihr klar, daß sie sich, wenn sie das Sorgerecht für das Baby erhalten wollte, etwas mehr anstrengen mußte, was bestimmt eine Höllenqual für sie war.
Und ich ärgerte mich im Lauf der Zeit immer mehr darüber, daß Lois sich das Baby unter den Nagel reißen würde. Nicht, daß es viele Alternativen gab, aber trotzdem - sie war einfach vorgeprescht und hatte mir mein Kind weggeschnappt. Erst durch Diskussionen mit meinem Vater, der mir auf drastische Weise die Augen öffnete, wurde mir klar, daß es die beste Lösung war, wenn Lois das Baby zu sich nahm - fürs erste zumindest.
Wir träfen uns in den Korridoren des Krankenhauses. »Oh, hallo, Richard. Tja. Noch so ein Tag, was? Einen Tag älter und einen Tag weiser.«
Kamelhaarmantel, weiße Handschuhe. Unser Gesprächsstoff war ziemlich beschränkt; denn sie war keine besonders einfallsreiche Frau, unabhängig davon, ob sich ihre Einstellung zu mir geändert hatte oder nicht. Die paar Krümel Kreativität, die sie besessen haben mochte, waren vermutlich beim Sammeln ihres scheußlichen Eulen-Schnickschnacks draufgegangen. Wenn ich ihr- in den Gängen des Krankenhauses oder bei uns in der Rabbit Lane über den Weg lief, machte ich mich stets auf ihre kuriosen Versuche gefaßt, Herzlichkeit zu verströmen. »Richard, du siehst ja gar nicht krank aus. Ich hab' gehört, du bist vergrippt.« (Peinliche Pause.) »Hmmm. Die Farbe steht dir gut, die solltest du öfter tragen.« (Peinliche Pause.) »Tja. Siehst da drin. Scheint alles in Ordnung zu sein.« (Lois nannte Karen nicht mehr bei ihrem Namen. Karen war zu einer »sie« degradiert worden.) Lois zog ihre Handschuhe aus. »Und deine Eltern?« Auf jeden Fall veränderte sich Lois zu ihrem Vorteil, obwohl ich ihren Motiven nicht ganz traute. Sie wollte das Baby - als wäre es ihr eigenes. Ich bin sicher, sie, wollte das Kind am liebsten schon im Kreissaal aus dem Mutterleib reißen, die Nabelschnur mit den Zähnen durchbeißen und dann mit ihrer Beute ins Taxi springen und Karen in ihrem ewigen Schlaf zurücklassen, als könnte sie diese Tochter abhaken und sich ihrem nächsten Projekt zuwenden: ein neues Kind großziehen, das die Lücke füllen sollte, die Karen hinterlassen hatte. Ich hatte immer noch das Gefühl, als laste das Geheimnis der Schwangerschaft allein auf meinen Schultern. Außer mit Wendy konnte ich mit niemandem, der mich wirklich gut kannte, darüber reden, wodurch mir die ganze Situation nur noch irrealer vorkam. Beide Familien gaben sich alle erdenkliche Mühe, gelassen und pragmatisch zu erscheinen: bloß keine Emotionen. Mein Kopf fühlte sich an wie eine Wassermelone, kurz bevor sie mit einem Baseballschläger zerschmettert wird. Mit siebzehn schon ein Kind? Dann, wäre ich mit vierunddreißig möglicherweise Großvater. Was für ein Vorbild konnte ich meinem Kind denn sein? Wozu wäre ich denn gut, wo doch Lois die Mutterrolle voll und ganz ausfüllte und niemand irgend etwas von mir erwartete? Meine Eltern schienen sich auf die Geburt zu freuen. Sie durchwühlten die Garage nach verschimmelten Kisten mit Babysachen für Lois. Sie besuchten Karen einmal im Monat. Außerdem raffte Mom sich ungefähr einmal pro Woche dazu auf, nach nebenan zu Lois zu gehen. An Lois' Tür mußte sie ihren ganzen Mumm zusammennehmen, denn ihr Klingeln löste bei dem erstaunlich nervösen Bichon frise der McNeils ein hysterisches, steriles Gekläffe aus.
»Hallo, Lois.«
»Ach, Carol, hallo, komm doch rein. Meine Güte, siehst du aber
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