Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
Girlfriend in a Coma

Girlfriend in a Coma

Titel: Girlfriend in a Coma Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Douglas Coupland
Vom Netzwerk:
Ozeandampfers geworfen hatte. Ich seufzte - und dann entschlüpfte mir die Wahrheit einfach wie eine Blase, die quallenartig aus der Tiefe des Meeres aufsteigt, anfangs zusammengepreßt durch den extremen Druck, aber dann immer größer und runder werdend, je weiter sie an die Oberfläche gelangt. Ich hatte große Angst vor der Presse gehabt. Ich wollte nicht, daß Karen zu einer Attraktion in einem Kuriositätenkabinett wurde. Und auch ihre Eltern strapazierten auf ihre Weise meine Nerven: Lois mit ihrer herrischen Art und George mit seinem mangelnden Interesse an Megan. Ich verspürte eine immense Erleichterung, als hätte ich einen Hühnerknochen verschluckt und wäre durch den Heimlich-Handgriff vorm Ersticken bewahrt worden. Mein Brustkorb entspannte sich; meine Muskeln erschlafften. Endlich konnte ich mit Menschen, die mir zuhören würden, über meine Gefühle für Karen und Megan sprechen. Meine Freunde sagten kein Wort, bis ich fertig war.
    »Weißt du, Megan sieht dir so ähnlich, daß es schon unheimlich ist, Richard«, sagte Pam. »Sie ist du mit einer Perücke.
    »Als wenn ich das nicht wüßte.«
    »Sie ist niedlich«, sagte Pam. »Ich hab' sie auf dem Arm gehabt. Linus auch.«
    »Ja«, sagte Linus. »Sie ist süß. Ich glaube, ich hätte sie fast fallen lassen. Sie hat meinen Taschenrechner vollgekotzt, meinen TI-55 - ich hänge sehr an diesem Gerät.« Wir saßen alle auf den Schienen. Hamilton zündete sich eine Zigarette an. Er sagte: »Also, ich finde, sie verdient ein bißchen Mitleid. Stellt euch vor, ihr habt Richards Gesicht und Lois als Ersatzmutter. Das Leben kann wirklich grausam sein.«
    Ich wollte Wiedergutmachung leisten: Paten? »Bedeutet das Windeln?« fragte Hamilton und verzog das Gesicht. Ich erwiderte: »Ja, Hamilton, das tut es. Hektarweise Scheiße. So ist das nun mal.« Wir saßen da und redeten ein bißchen, nur unsere fünf Stimmen, umgeben von Schwärze. Einen Moment lang war es still. Dann bückte sich Linus, legte sein Ohr aufs Gleis und flüsterte: »Ein Zug.« Da wir es unmöglich noch bis zum Ausgang schaffen konnten, warfen wir uns zu Boden, rollten uns zu beiden Seiten in die Schottergräben und versuchten uns ganz klein zu machen. Sekunden später explodierte über uns ein Pacific-Great-Western-Zug mit einem wasserstoffbombenartigen Getöse - 108 mit Furnierholz beladene Güterwaggons sausten wie eine Supernova zwischen den Granitwänden über uns entlang. Ein pulsierendes Licht ging von dem Zug aus, das, während ich dort an den Boden gepreßt lag, direkt vor meiner Nase eine leere Weinflasche, eine sechs Jahre alte vergilbte Zeitung, eine Socke und eine zusammengeknüllte Huggies-Windel beleuchtete. All diese Gegenstände blitzten kurz auf und verschwanden wieder wie flüchtige Schauer einer Scham, die bald vergessen ist und nie wieder ans Tageslicht kommt. Es war ein seltsames Gefühl, dieses Strandgut tief unter der Erde zu sehen, von wo aus es niemals wieder an die Oberfläche zurückkehren würde.
    Es dauerte etwa fünf Minuten, bis der Zug vorüber war. Was, wenn wir in diesem Moment sterben würden? Wie war unser Leben gewesen? Was für Ambitionen hatten wir gehabt? Wonach hatten wir gestrebt? Nach Geld? Nein - daran schien keinem von uns etwas zu liegen. Nach Glück? Wir waren so jung, daß wir noch nicht einmal wußten, was Unglücklichsein bedeutet. Nach Freiheit? Vielleicht. Eine unserer Maximen besagte, daß durch grenzenlose Freiheit eine aus einzigartigen, faszinierenden Individuen bestehende Gesellschaft entsteht. Diesen Grundsatz nicht verwirklichen zu können hieße, unseren gesellschaftlichen Verpflichtungen nicht nachzukommen. Wir waren jung; natürlich verlangten wir vom Leben einen Sinn. Ich sehnte mich nach Pflichterfüllung, aber wem oder was gegenüber?
    Inzwischen brannte mir der stinkende Holzteer der Gleisschwellen in der Nase, und mein Ellenbogen steckte im Dreck. Kleine Wirbelstürme aus Abfällen piekten mich ins Gesicht, und ich schloß die Augen. Ich versuchte mich ganz eng zusammenzurollen, um mich vor dem Dröhnen des Zuges zu schützen - dem Lärm des Mittelpunkts der Erde. Träume kennen kein Negativ. Das heißt, wenn man tagsüber denkt, daß man auf keinen Fall nach Mexiko fahren will, werden einen die nächtlichen Träume prompt nach Mexico City führen. Der Körper wird das »Nein« ignorieren und nur dem Gegenstand an sich Aufmerksamkeit schenken. Ich glaube, wir machten uns jeden Tag Gedanken darüber, wie wir von Kummer und

Weitere Kostenlose Bücher