Girlfriends 04 - Kuess Weiter, Liebling!
feines dunkles Haar fiel ihr über die Wange. Das Pop-Tart in ihrer Hand vergessen, lief sie bedrückt aus der Küche. Adele wünschte, sie würde ihre Nichte besser
kennen, und wüsste, wie sie sie beruhigen konnte, aber das tat sie nicht, was ihr Gewissensbisse machte. Adele hatte Kendra seit ihrem siebten Geburtstag nicht mehr gesehen, und in den sechs Jahren war sie sehr erwachsen geworden. Ihr Körper wurde langsam reifer, und neuerdings ging sie leicht geschminkt in die Schule. Nicht sehr, aber es dauerte nicht mehr lange, bis die Pubertät mit aller Wucht zuschlug.
»Sind Sie aus Fort Worth?«, fragte Tiffany.
Adele richtete den Blick auf das junge Mädchen. »Nein, ich komme aus Idaho.«
Tiffany nickte weise und strich sich die Haare hinter die Ohren. »Ich war schon mal in Des Moines.«
Das war in Iowa, aber Adele machte sich nicht die Mühe, Tiffany zu korrigieren. Auch viele Erwachsene glaubten, dass Idaho im Mittleren Westen lag. »Habt ihr zwei gestern Abend Spaß gehabt?«, fragte sie in dem Bemühen, das Gespräch am Laufen zu halten. Sie hatte mit Teenagern nichts mehr zu tun gehabt, seit sie selbst einer war, und wusste nicht so recht, worüber man mit jemandem reden sollte, der zweiundzwanzig Jahre jünger war. Was trieben Teenager heutzutage so?
»Kendra versucht, in die Tanzmannschaft zu kommen, und ich helfe ihr mit der Choreo. Zwei Mädchen sind rausgeflogen, weil sie auf einer Bierparty beim Wettsaufen erwischt worden sind.«
Teenager soffen also um die Wette. Adele hatte erst am College damit angefangen.
»An ihrer alten Schule hat Kendra auch getanzt, aber das wissen Sie bestimmt.«
Eigentlich nicht. Adele hörte sich Tiffanys Gequassel über die Tanzmannschaft und ihre Chancen an, sich für die diesjährige Meisterschaft zu qualifizieren. Und je mehr sie quasselte, desto mehr hatte Adele das Gefühl, dass an dem Mädchen irgendetwas
Vertrautes war. Was genau, konnte Adele nicht so ganz festmachen; sie war zu müde dafür.
»Ich kann meine Tanzschuhe nicht finden«, murmelte Kendra, die auf sie zukam, ihr Sweatshirt in der Hand und den Rucksack über der Schulter. Ihre Augen waren gerötet und ihre Wangen tränenverschmiert, als hätte sie sich mit der Hand übers Gesicht gewischt.
Tiffany drehte sich auf dem Absatz um und marschierte aus der Küche. »Die hast du bestimmt im Wohnzimmer gelassen.«
Adele legte tröstend den Arm um ihre Nichte, und sie folgten Tiffany. »Deine Mom und das Baby sind außer Gefahr. Als ich gegangen bin, hat sie gerade gefrühstückt, und das Baby hat getreten.« Auch wenn sie selbst keine Tritte gespürt hatte.
»Echt?«
»Echt. Sie braucht jetzt viel Ruhe, aber ich bin ja da und helfe euch.« Sie betraten das dunkle Wohnzimmer, und Adele drückte ihre Nichte an sich, bevor sie den Arm wieder sinken ließ. »Versuch, dir keine Sorgen zu machen.«
»Ich hab mir immer einen kleinen Bruder gewünscht«, erklärte Tiffany und knipste das Licht an. Filigrane schmiedeeiserne Kronleuchter erhellten einen großen Raum, dessen Mobiliar an die Wände geschoben war. Die riesigen Teppiche waren zusammengerollt, sodass der Fußboden kahl war. »Aber meine Mama und mein Daddy hatten nur mich«, fügte sie hinzu.
»Ich hätte es immer toll gefunden, einen älteren Bruder zu haben.« Adele lief weiter in den Raum hinein und sah sich suchend nach Kendras Schuhen um. Die hintere Wand wurde von einem Kamin aus goldbraunem Marmor dominiert, in dessen weichen Stein Säulen und Blätter gehauen waren und der wie der Rest des Hauses nur knapp am Kitsch vorbeischrammte. »Aber ein kleiner Bruder wäre auch schö-« Sie verstummte mitten im Satz, ihre Kinnlade klappte herunter, und ihr blieb
die Spucke weg. Über dem Kaminsims, umschmeichelt vom warmen Schein einer Spezialbeleuchtung, blickte von einem lebensgroßen Porträt Devon Hamilton auf sie herab. Ihre grünen Augen waren kalt und ihre Lippen zu jenem »Ich bin was Besseres als du«-Lächeln zusammengepresst, das Adele nur allzu gut kannte.
Tiffany stellte sich neben sie und schaute bewundernd zu dem Bild auf. »Das ist meine Mama.«
Adele bewegte die Lippen, brachte aber keinen Ton hervor. Der Schreck fuhr ihr in die Glieder, und von ihrer Brust stiegen glühende Nadelstiche bis zu ihrem Gesicht auf. Sie wich einen Schritt zurück, dann noch einen.
»Sie ist vor ein paar Jahren gestorben.«
Adele blieb stehen. Schock Nummer zwei. Devon ist tot ? »Tut mir leid«, flüsterte sie, obwohl sie einen Kloß im Hals
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