Giselles Geheimnis
Gegenteil. Sie klammerten sich an ihn, manchmal sehr viel enger, als ihm lieb war.
Für eine Sekunde erlaubte er sich die Vorstellung, wie Giselle Freeman sich an ihn klammerte und erwartungsvoll zu ihm aufschaute. Würde ihm das Vergnügen bereiten? Wenn sie ihn begehrte?
Verlor er jetzt den Verstand? An ihr war nichts, was ihn erregte, absolut nichts. Er zog seine Frauen weiblich anschmiegsam vor, nicht provozierend aggressiv. Eine solche Kratzbürste zu zähmen mochte manche Männer reizen, ihn nicht.
In sicherem Abstand zu ihm klaubte Giselle genügend Courage zusammen, um zu beharren: „Mein Auto war nicht unrechtmäßig geparkt. Sollten Sie es wirklich haben abschleppen lassen, dann sind Sie derjenige, der sich eines unrechtmäßigen Vergehens schuldig gemacht hat.“
Oh ja, definitiv eine Kratzbürste, beschloss Stefano und bückte sich, um eines ihrer Blätter aufzuheben, das direkt vor seinen Füßen lag. Sein Blick flog über die Zahlen und Buchstaben, dann las er genauer. Schließlich fragte er: „Sie arbeiten unentgeltlich an diesem Projekt?“
Sie brauchte dieses Blatt. Aus Angst, ihn unabsichtlich zu berühren, riss Giselle es ihm mehr oder weniger aus der Hand. „Und wenn?“, konterte sie scharf. „Weder geht es Sie etwas an, noch haben Sie das Recht, mich danach zu fragen.“
Sie tat es schon wieder, forderte ihn heraus mit ihrer offenen Feindseligkeit, wenn sie doch zerknirscht ihren Fehler zugeben und ihn um Verzeihung bitten müsste.
Stefano entschied, dass es ihm reichte. Er war nicht der Mann, der irgendjemandem erlaubte, ihn herauszufordern. Und auf eine Herausforderung nicht einzugehen, war undenkbar. Vielleicht herrschte er nicht über Arezzio, aber seine Familie tat es, wie seine Vorfahren es seit Jahrhunderten taten. Sie hatten geherrscht und sich gegen all diejenigen verteidigt, die ihnen das Recht hatten streitig machen wollen. Das Blut seiner Vorfahren floss auch in ihm, und gnade Gott denjenigen, die sich gegen ihn stellten.
„Meinen Sie also, ja?“
Sein seidiger Ton übte eine elektrifizierende Wirkung auf Giselle aus. Die Härchen in ihrem Nacken richteten sich auf, ihre Haut prickelte, als hätte er sie gestreichelt und liebkost.
„Wie Mr Shepherd mich wissen ließ, ist Ihnen Ihre Arbeit sehr wichtig.“
„Das hat er zu Ihnen gesagt?“ Die Worte waren heraus, bevor Giselle die Möglichkeit hatte, sie zurückzuhalten. Innerlich krümmte sie sich, aus Angst wurden ihre grünen Augen dunkel wie Jade. Ihr war nicht klar gewesen, dass Mr Shepherd wusste, wie wichtig ihr der Arbeitsplatz war, geschweige denn, dass er mit anderen darüber sprach.
„Er erzählte mir auch, dass Sie mehrere lukrative Angebote ausgeschlagen haben und stattdessen bei der Firma geblieben sind. Er nannte es Loyalität, ich jedoch glaube, Ihre Motive sind ganz andere, sehr viel stärkere. Es würde mich interessieren, welche Motive das sein könnten.“
Es würde ihn interessieren?! Noch während Stefano die Worte aussprach, wunderte er sich über sich selbst. Was war es an dieser Frau, das eine derartige Wirkung auf ihn ausübte? Erst erregte sie seinen Ärger und jetzt seine Neugier. Tief in seinem Innern meldete sich eine Stimme, die üblicherweise schwieg, und fragte ihn das Undenkbare. Wenn es dieser Frau gelang, Emotionen freizusetzen, derer er normalerweise mühelos Herr wurde, was würde wohl passieren, wenn er es sich erlaubte, auch körperlich von ihr erregt zu werden?
Eigentlich brauchte er das nicht zu fragen. Er wusste doch, wie es aussah, wenn man die Lunte eines Sprengsatzes entzündete. Es gab immer nur ein Resultat – Zerstörung. Zerstörung? Sollte diese aufreibende Frau tatsächlich die Fähigkeit besitzen, ihn bis zu einem Punkt zu erregen, an dem seine Barrieren zerstört wurden? Die Barrieren, die ihn davor schützen sollten, jemals einen anderen Menschen wirklich zu brauchen? Unmöglich, versicherte Stefano sich überzeugt.
Giselle wusste, dass Stefano auf eine Antwort von ihr wartete, genau wie sie wusste, dass sie ihm nicht antworten wollte.
„Warum in einem Job bleiben, für den Sie überqualifiziert und, wie ich zu behaupten wage, unterbezahlt sind? Es sei denn natürlich, Ihre Qualifikationen stehen nur auf dem Papier, und Sie besitzen in Wirklichkeit gar nicht die Kompetenz, anspruchsvollere Arbeit zu bewältigen.“ Stefano provozierte sie bewusst und weigerte sich, auf die innere Stimme zu hören, die ihn warnte, besser einen Rückzieher zu machen.
Seine
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